Vollmeisen
sie eine Stunde im Garten«. Genau, während du zur Arbeit warst. »Aber das ist wohl sehr kompliziert, was sie da alles schreiben muss, deshalb sehe ich sie selbst kaum.«
»Was studiert sie denn?«, fragte Anneliese.
Das würde ich auch gern wissen. »Psychologie« war das Erste, was mir einfiel.
»Oh, dann glaube ich, dass sie viel zu tun hat, es muss echt schwer sein, anderen Leuten in die Köpfe zu gucken. Mir gelingt das ja oft nicht mal bei mir selbst.«
Da hatten wir etwas gemeinsam. Nachdem wir die Hälfte des Butterkuchens gegessen hatten, ging ich wieder rüber zu mir. Anneliese wollte gleich ihren Ronald anrufen, damit der mir den Stick mitbrachte. Denn Simon sollte zwar einen von mir bekommen, aber bestimmt nicht seinen.
Jürgen war in der Küche und schnitt Gemüse. Sein freier Nachmittag ohne mich hatte ihn wohl mal milder gestimmt. »Ich koche mir eine Gemüsesuppe, wenn du möchtest, kannst du einen Teller abhaben.«
Das war eine gute Idee, abends eine Gemüsesuppe lieà den Nachmittagskuchen vergessen. Drei Stunden später aÃen wir sogar zusammen in der Küche, als es klingelte. Anneliese stand mit dem Stick vor der Tür.
»Hier, dein Stick, brauchst du auch nichts für bezahlen, das ist ein Werbegeschenk. Wir hier auf dem Dorf halten eben zusammen.« Den Spruch hatte ich schon einige Male gehört, und auch jetzt fragte ich mich, wogegen sie denn zusammenhielten. Standen feindliche Truppen vor den Dorfmauern? Wollten Nudisten ein Camp bei ihnen errichten?
Sie drängelte sich an mir vorbei und ging gleich durch in die Küche. Sicher, mein Haus ist auch dein Haus.
»Hallo«, sagte sie zu Jürgen, »wir kennen uns ja noch gar nicht. Ich bin die Nachbarin von Alice, ich wohne gleich gegenüber.«
Jürgen begrüÃte sie höflich und fragte sie sogar, ob sie mit uns Suppe essen wollte.
»Nein«, lachte sie, »das geht nicht, ich esse gleich mit meiner Familie. Aber kann ich vielleicht mal mit deiner Frau sprechen? Meine Tochter erzählt zurzeit immer so wilde Geschichten, da wollte ich sie mal fragen, ob das normal ist. Weil sie doch Psychologie studiert.«
Jürgen setzte ein bedauerndes Gesicht auf. »Oh, leider nicht, sie ist so in ihrer Arbeit vertieft, sie wollte nicht mal mit uns essen. Aber ich kann sie gerne später fragen, und Alice sagt Ihnen dann morgen Bescheid.«
Damit war Anneliese zufrieden und wünschte uns noch einen schönen Abend. Jürgen informierte mich darüber, dass ich für den Abwasch zuständig wäre, da er gekocht hatte, und verzog sich vor den Fernseher. Hätte mich auch gewundert, wenn ich von ihm irgendetwas umsonst bekommen hätte. Ich wusch also Töpfe und Teller ab und setzte mich dann auch vor den Fernseher. Als Jürgen in die Küche ging, um sich eine Flasche Wasser zu holen, war er schon wieder ganz der Alte. »Alice, was soll denn das hier?«
Seufzend ging ich zu ihm. »Was ist denn nun schon wieder, habe ich die Teller in der falschen Reihenfolge auf das Abtropfgitter gestellt?«
»Nein. Du hast sie überhaupt da reingestellt. Die müssen doch abgetrocknet und weggeräumt werden. Man kann die doch nicht einfach so nass da stehen lassen. Wie sieht denn das aus?«
Ich glaube, das war sein Lieblingssatz. Dieses »Wie sieht denn das aus?« hatte ich schon mindestens fünfzig Mal gehört. Er war einer von den Leuten, die sich ständig selbst Arbeit machten. Wenn die Sachen über Nacht auch von allein trockneten, warum sollte man es dann selbst machen? Aber bevor er wieder einen neuen Putzplan ersinnen würde, versetzte ich die Küche, so gut ich konnte, wieder in den von ihm so geliebten sterilen OP-Saal-Zustand.
Als ich nach einer gefühlten Stunde wieder zurück ins Wohnzimmer kam, sah er sich irgendetwas Langweiliges über den Zweiten Weltkrieg an. Ich nahm mir eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, ein Glas aus dem Schrank und ging hoch in mein Zimmer. Wie deprimierend das hier war. Na ja, konnte ich mich wenigstens wieder mit meiner Liste beschäftigen. Das war immer noch schwierig. Vielleicht würde mir mehr zu Punkt 3 einfallen, wenn ich ein bisschen Sekt trinken würde. Aber halt, mein Test, den musste ich erstmal zu Ende machen. Zufrieden sah ich, dass ich fast die höchste Punktzahl hatte und somit ein »Sie sind nicht nur sexy, Sie sind eine Waffe« erzielte. Das
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