Vollmeisen
rauskam, kam Simon bestimmt auch nicht raus.
Ich würde Simon noch mal anrufen, ihn statt zum Schützenhaus zum Schweinestall von Bauer Erich bestellen und ihn dann im Haus vom Eber einsperren. Da könnte Nick ihn dann abholen.
Ein guter Plan! Ich war ganz begeistert von meiner Idee, nur leider fand ich nirgendwo einen Platz, an dem ein Eber hätte leben können. Keinen abgeriegelten Hochsicherheitstrakt, noch nicht einmal ein Schild an der Wand, auf dem zum Beispiel »Hier wohnt unser Kuno« oder so etwas gestanden hätte. Ich ging zu Kirsten, die gerade mit Füttern fertig war und sich nun dranmachte, die Ställe auszumisten. Nun wurde der Gestank ganz furchtbar. Ich musste schnell hier raus, bevor sie mich noch bitten würde, ihr zu helfen. SchlieÃlich hielten wir Leute vom Dorf ja zusammen.
»Na, hast du einen Eindruck gewonnen«, fragte sie mich.
»Ja, ein bisschen schon. Aber sag mal, wo ist denn der Stall von Kuno?«
»Von wem?«, fragte sie ratlos zurück.
»Na, von eurem Eber, ich finde, Kuno wäre ein klasse Name für einen Eber.«
Sie lachte. »Ja, mag sein, aber wir geben unseren Tieren hier keine Namen. Jedenfalls ist er nicht bei den Säuen, das würde nicht gutgehen. Aber ich kann ihn dir gerne mal zeigen, wenn es dir hilft.«
O ja, das würde mir helfen. »Super«, freute ich mich, »können wir da gleich mal hingehen?« Wenn ich hier nicht bald rauskäme, würde ich in Ohnmacht fallen, das wusste ich genau.
Sie ging mit mir über den Hof und zur anderen Seite des Kuhstalls. Dort war eine schmale Tür, die sie öffnete. »Siehst du? Hier ist unser Eber normalerweise untergebracht.«
Hinter der Tür befand sich ein kleiner Vorraum. Links war eine Pforte, die bestimmt zum Kuhstall führte, und rechts lag der Stall des Ebers. Er war perfekt, so ungefähr drei mal vier Meter und, das Wichtigste, mit Gitterstäben bis fast an die Decke. Auch der Eingang war mit einer hohen Gittertür gesichert.
»Darf ich mal?«, fragte ich und wartete die Antwort gar nicht erst ab. Ich versuchte, die Tür zu öffnen, aber die bewegte sich keinen Millimeter.
»Die wird nicht aufgemacht wie eine normale Tür, das ist eine Schiebetür, du musst sie zur Seite ziehen«, informierte mich Kirsten. Hatte ich da einen leichten, misstrauischen Schimmer in ihren Augen gesehen?
Schnell probierte ich das Ziehen, und die Tür stand auf. »Das ist so nett von dir, dass du dir so viel Zeit für mich nimmst. Ich weià â¦Â«, dabei lachte ich aufgesetzt, »wir Künstler wirken auf unsere Umgebung manchmal etwas seltsam. Aber ich brauche Atmosphäre, authentisches Umfeld, das Unverfälschte. Nun hab ich ein Gefühl dafür, wie ein Schwein lebt, und erst jetzt kann ich es auch malen.«
Das beruhigte sie. »Ja, eigentlich ist es eine Schande, dass unsereins so gar keine Zeit für die schönen Dinge des Lebens hat. In der Schule habe ich mich auch für Kunst interessiert, aber mein Mann würde mir was erzählen, wenn ich Bilder malen würde, statt den Stall auszumisten. Das muss ich jetzt auch weitermachen. Du kannst aber gerne noch hierbleiben und die Atmosphäre auf dich wirken lassen.«
Diese ganzen netten Leute würden mir wirklich fehlen. Ich hatte noch nie so viel Freundlichkeit auf einem Haufen erlebt. Und sie hatten nicht mal was davon, sie waren einfach von Natur aus so. Ich beschloss, mir in meinem zukünftigen Leben daran ein Vorbild zu nehmen und auch ein besserer Mensch zu werden.
Aber zurück zu meinem Plan. Also, ich würde Simon hierher bestellen. Dadurch, dass der Eingang nach hinten raus lag, abgewandt vom Wohnhaus, sollte uns keiner hören können. Ich würde mit ihm im Vorraum stehen und reden. Dann, während des Gesprächs, käme ich in Rage. Das würde ich sicher nicht spielen müssen, sauer wie nichts Gutes war ich nämlich jetzt schon auf ihn. Dabei würde ich wild gestikulieren und ihn dadurch in den Stall des Ebers drängen. Sobald er drin wäre, würde ich den Stick nehmen und ihn mit den Worten »Da hast du das ScheiÃding, ist ja sowieso alles, was dich interessiert« in die hinterste Ecke werfen. Und, voilà , während er ihn sich holte, würde ich die Stalltür verriegeln. Ein todsicherer Plan. Ich war so stolz auf mich und hätte zu gerne jemandem davon erzählt, aber das ging ja leider nicht. Ich
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