Vollmondfieber: Roman (German Edition)
blickte auf mich herab. Instinktiv lehnte ich mich zurück.
»Fordere mich nicht heraus, kleines Wolfsmädchen! Ich bin niemand, mit dem man leichtfertig umgehen sollte. Wenn du mich provozierst, dann, das verspreche ich dir, werde ich dich bestrafen! Du bist hier, weil ich es so wünsche, und damit hat es sich!« Sie wedelte herablassend mit der Hand. Diese Vampire hatten offenbar eine Vorliebe für Handzeichen aller Art.
Du hast doch gerade gesagt, Valdov sei ein Narr gewesen, mich herzubringen! »Ich bin nicht leichtfertig Ihnen gegenüber, äh … Königin.« Wie zum Teufel sollte ich sie eigentlich ansprechen? »Ich versuche nur zu verstehen, warum ein neugeborener Wolf derart viel Interesse bei Ihnen weckt. Normalerweise sollte ich Ihrer Beachtung gar nicht wert sein. Wenn das, was ich über Ihre Art weiß, zutrifft, sollte ich nicht das kleinste Echozeichen auf Ihrem Radar auslösen. Es hat nie zu den Gepflogenheiten unserer Gemeinschaft gehört, sich in die Angelegenheiten der jeweils anderen einzumischen.«
Kaltes Lachen war die Antwort und: »Du, kleines Wolfsmädchen, bist meine Angelegenheit!« Sie schwebte die Stufen herab. »Meine getreuen Diener haben dich seit deiner überaus unzeitgemäßen Geburt im Auge behalten.« So lange waren die Vampire mir bereits auf den Fersen? Sie lachte. »Was? Hast du gedacht, dein Vater könnte dich vor uns verstecken? Uns die Geburt eines Weibchens verheimlichen? Niemals!«
Eudoxias Augen flackerten gefährlich, wechselten von reinem Silber zu Schwarz und wieder zu Silber. Wenige Schritte vor mir blieb sie stehen und faltete die Hände vor dem Körper wie ein sittsames Schulmädchen. Sie hätte in dieser Rolle sogar glaubwürdig gewirkt, wäre mir nicht eines so überdeutlich klar gewesen: Sie könnte mir allein mit ihren Zeigefingern den Hals brechen, ehe ich auch nur Zeit zum Niesen hätte.
»Was genau meinen Sie mit ›unzeitgemäß‹?«, fragte ich. »Mir war nicht bewusst, dass es eine gute Zeit für die Geburt eines weiblichen Werwolfs geben könnte.«
Sie neigte den Kopf und musterte mich eindringlich. Ich verlagerte unbehaglich mein Gewicht. Ich mochte es nicht, wenn ihr Blick auf mir lastete; es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Dann legte Eudoxia den Kopf auf die Seite wie ein Vogel, der einem Wurm lauscht, genau wie Valdov es getan hatte. Vampire waren absolut gruselig. Jede ihrer Bewegungen war widernatürlich. Die Königin konnte sich unmöglich hinaus in die Welt trauen. Dafür hatte sie zu wenig Menschliches an sich.
Abrupt hob sie den Kopf, und ein niederträchtiges Lächeln schlich sich auf ihre perfekten Lippen. »Du weißt nicht, was du bist, richtig, kleines Wolfsmädchen?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, entgegnete ich. »Was meinen Sie mit ›wer ich bin‹? Ich bin das einzige Weibchen in einer sonst ausschließlich männlichen Gattung – eine Missgeburt, eine Anomalie, ein fleischgewordener Streitpunkt.« Die violetten Augen ließ ich ebenso aus wie die Lykanerfähigkeiten und die Hirnwellenkommunikation mit meinem Bruder. Davon dürfte die Königin bisher nichts wissen, und so sollte es auch bleiben.
Ihre Eckzähne waren eingezogen, denn als sie den Mund in makabrem Entzücken öffnete, sah ich nur zwei Reihen hübscher, ebenmäßiger Zähne. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass du dir deiner Lage … wie soll ich sagen … nicht bewusst bist.« Sie klatschte spöttisch in die Hände und spazierte zu einem mächtigen Wandgemälde mit schaurigen Folterszenen. Liebreizend. »Das ist wirklich interessant. Und es ändert die Lage ganz enorm! «
Mir gefiel die schaurige Freude, die in ihrer Stimme anklang, überhaupt nicht, und meiner Wölfin ging es ebenso. Was ist hier los? Weißt du, wovon sie spricht? Meine Wölfin ging nur aufgeregt auf und ab, richtete die Nackenhaare auf und knurrte weiter leise. Damit machte sie mir im Grunde nur deutlich, dass dies nicht der rechte Zeitpunkt für ein vertrauliches Gespräch war. Ich fügte mich.
Dass die Vampirkönigin mehr über mich wusste als ich selbst, war, gelinde gesagt, suboptimal. Eigentlich war es sogar richtig beschissen. Ich befand mich ihr gegenüber eklatant im Nachteil. »Ich fürchte, ich bin ein wenig ratlos. Wenn Sie vielleicht …«, setzte ich an.
»Sie kommen.« Ihr Kopf ruckte zur Tür herum, und zwei vermummte Gestalten schwebten simultan auf sie zu.
»Wer kommt?« Wie lange war ich eigentlich weg gewesen? Ich sah mich um,
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