Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
heute wie jeden Tag die Post aus und benutzt dabei immer den Weg, auf dem sie auch aufgefunden wurde. Als sie heute den Feldweg entlang radelte, lag am Feldrain eine Frau. Sie dachte natürlich, dass diese Hilfe benötigt, und stieg ab. Als sie sich über die Frau beugte, wurde sie von der festgehalten und bekam ehe sie reagieren konnte eine Injektion in den Arm. Sie wusste noch, dass es einen Moment dauerte, bis sie das Bewusstsein verlor, weil die Angreiferin aber sehr stark war, konnte sie sich nicht wehren.«
»Das Fahrrad der Postbotin und ihre Arbeitsbekleidung fanden wir übrigens hinter dem Haus des Ermordeten«, warf Günther Lachmann, der Chef der KTU, ein.
»Das Fahrrad und vor allem die typische Postbotenjacke waren sicher der Grund, weshalb die Briefträgerin überfallen wurde«, sagte Karin.
»Es war sehr nützlich, dass ihr mir das Phantombild der Unbekannten von der Tankstelle auf mein Handy geschickt habt.« Jan hielt den Ausdruck der Zeichnung hoch. »Bevor die Postbotin ansprechbar war, habe ich mit der Stationsschwester geflirtet, bis sie sich erweichen ließ und ich an ihrem Rechner die Bilddatei ausdrucken konnte.«
Sandra konnte es nicht lassen, Jan wieder zu necken: »Du flirtest mit Stationsschwestern? Was sagt denn Claudia dazu?«
»Also hör mal her. Ohne den Einsatz meines ganzen Charmes hätte mich die Schwester nie an ihren Computer gelassen. Übrigens war sie schon über fünfzig.« Jan grinste Sandra fröhlich an. Er nahm ihr die kleinen Sticheleien nicht übel.
»Jedenfalls habe ich der Zustellerin das Bild gezeigt und sie hat die Frau eindeutig erkannt.«
Karins Erleichterung war förmlich greifbar. »Endlich haben wir etwas in der Hand. Nun hat die Täterin ein Gesicht bekommen. Mackie, du kannst Claudia für ihre gute Zusammenarbeit mit dem Phantombildzeichner einen extra Kuss geben.«
Karin, die bis zu diesem Moment verkrampft und nach vorn gebeugt auf ihrem Stuhl gesessen hatte, lehnte sich entspannt zurück, sie blickte zu Dr. Bretschneider, der rechts neben ihr saß und entgegen seiner üblichen ›Ich-stehe-überden-Dingen‹-Haltung die ganze Zeit aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her rutschte, knuffte ihn auf den Oberarm und sagte: »So Mario, eh du mich mit deiner Unruhe noch vollkommen verrückt machst, leg mal los, und ich hoffe, dass du elementare Ergebnisse vorlegen kannst.«
»So ist es. In der Tat.« Dr. Bretschneider, nun losgelassen, war nicht mehr zu bremsen. »Der Tote ist gefoltert wurden. Auf eine Weise, wie sie wirkungsvoller nicht sein kann. Nachdem er an einen schweren Stahlstuhl gefesselt wurde, sodass er bewegungsunfähig war, hat ihm der Täter, oder besser die Täterin mit einem sehr scharfen Messer die Haut über dem Schienbein aufgeschnitten und den darunter liegenden Knochen freigelegt. Alle Anwesenden können sicher wenn sie sich selbst an das Bein fassen feststellen, dass sich neben dem
Musculus tibialis anterior
, dem vorderen Schienbeinmuskel, nicht viel Gewebe zwischen Haut und Knochen befindet. Wenn sie neben dem Schienbeinmuskel mit den Fingernägeln auf das Bein klopfen, gibt es einen dumpfen Ton.«
Außer Jan, der sein Hosenbein hochgeschoben hatte und brav den Instruktionen des Doktors folgte, vollzog keiner der Anwesenden die Übung.
Dr. Bretschneider ließ sich davon aber keineswegs aus dem Konzept bringen und setzte seine Darlegung begeistert fort: »Die Knochenhaut besteht aus einer äußeren Schicht und einer inneren Schicht. Diese innere Schicht enthält Nerven und Blutgefäße. Deshalb ist die Knochenhaut im Gegensatz zum Knochen selbst extrem schmerzempfindlich. Auf dieser durch den Schnitt freigelegten Knochenhaut kratzte die Täterin mit einem spitzen Gegenstand, wahrscheinlich einer Nadel. Wird ein Mensch einer solchen Prozedur unterzogen, leidet er Höllenqualen und liefert mit Sicherheit die eigene Mutter ans Messer.«
Es war, als würde ein kalter Windhauch durch den Beratungsraum wehen. Alle Anwesenden erschauerten, denn es gelang keinem, sich nicht vorzustellen, wie das Mordopfer gelitten haben musste. Sogar Dr. Bretschneider, bei dem das wissenschaftliche Interesse kurzzeitig die Oberhand hatte, war merklich erschüttert. Mit gesenkter Stimme sprach er weiter: »Ich habe von dieser Foltermethode während meines Studiums gehört und hätte nie gedacht, dass ich erleben muss, dass sie hier in Deutschland noch einmal praktiziert wird. Diese Art der Folter blickt auf eine unrühmliche Geschichte zurück, KZ-Ärzte
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