Vom Aussteigen und Ankommen
der Armee zur Polizei. Einmal, erzählte er unter den Blicken des Ritters, hatte er bei der Partei vorsprechen müssen, weil er von seinem dreizehnten Gehalt nur neunundneunzig Pfennig in kleinen Münzen an die SED gespendet hatte. »Aber ich war kein Regimegegner, kein Held«, sagte er. Er war ein DDR-Polizist, fuhr SED-Funktionäre oder den Polizeichef von Zeulenroda zur Jagd, fuhr sie zu Festen und zurück, als sie im Delirium waren, holte für die Herren in den Zentrallagern die besten Stücke Fleisch oder seltenes Obst wie Apfelsinen ab, er war in der ersten Reihe Zuschauer der Dekadenz der späten DDR-Elite und sagte, er habe den nahenden Untergang gespürt.
Kurz vor dem Ende der ostdeutschen Demokratie nahm er bei einer Leipziger und Jenaer Montagsdemonstration noch Demonstranten fest, wenig später wurde er in den Beamtendienst der deutschen Polizei übernommen und begleitete Geldtransporte, wurde Drogenfahnder. Mit neunzehn hatte er sein erstes Haus gebaut, fast allein, nach der Wiedervereinigung baute er ein größeres mit Fußbodenheizung, Fitnessraum, einem amerikanischen Poolbillardtisch, einem achtundsechzig Quadratmeter großen Wohnzimmer mit französischem Kamin und einer Etage für seine beiden Kinder. Jahre später wurde im Wald ein Blockhaus frei, weil sich der Vorbesitzer erhängt hatte. In dem Haus gab es keinen Strom- und Wasseranschluss, Silvio kaufte es und zog 2001 mit Kindern und Frau ein, sie lebten fast autark auf viereinhalb mal achteinhalb Metern, draußen stand eine Hütte für die Kinder.
»Ich hatte Sehnsucht danach, wieder mit der Flinte auf dem Rücken durchs Revier zu streunen, ich wollte einen Schlussstrich unter dieses Schneller, Höher, Weiter ziehen, ich hatte Sehnsucht nach der Natur«, sagte Silvio.
Neben der Arbeit gründete er den Freizeitpark Abenteuerland Thüringen, bot Truck-Safaris durch Thüringen oder Marokko für Manager an. Mit den Incentive-Reisen erlöste er manchmal mehrere zehntausend Euro an einem Wochenende. Er machte viel Sport, doch beim Marathon oder Mountainbike-Rennen begannen ihn plötzlich jüngere Kontrahenten zu überholen. Er war immer auf der Überholspur gefahren, aber nun wurde er überholt und wurde müde. Er bemerkte, dass in der Sportszene viele Bekannte immer härter gegen das Älterwerden ankämpften. Sie trainierten mehr und mehr, färbten sich die Haare und bräunten ihre Haut. Es reichte Silvio. Die Idee vom Landleben schien ihm als eine Rettung.
»Als ich erstmals ins Pfarrhaus reinkam, dachte ich: Hier bleibst du, und das wird deine Burg. Ich bin jetzt froh, dass ich hier bin und aus dieser Spirale wieder raus«, sagte er, »dass ich jedenfalls fast raus bin, denn manchmal kommt noch Post vom Finanzamt.«
Zum Glück konnte er seine Steuerschulden noch von einem gut gefüllten Konto überweisen. Denn mehr und mehr würde es in Zukunft nötig sein, dass die beiden weniger Geld ausgeben. Silvio bekam eine Rente in Höhe von siebenhundert Euro. Er wollte gern auf die Krankenversicherung verzichten, aber das war ja gesetzlich nicht erlaubt. »Ich bin schon krank, was soll ich dann noch mit einer Versicherung?«, sagte er. Catrin arbeitete drei Tage in der Woche als Mutter-Kind-Trainerin.
Sein Pensionärsdasein machte Silvio gelegentlich ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass die Nachbarn darüber sprachen. Er arbeite nicht und lebe vom Staat, wurde gesagt. Doch er würde gern mit den Gesunden tauschen, sagte er; dreitausendzweihundert Euro hatte er vorher netto verdient. Und jetzt tat ihm jeder falsche Schritt weh. In seiner Kraftsportlerzeit hob er hundertzwanzig Kilo schwere Gewichte. Heute konnte er kaum noch einen vierzig Kilo schweren Zementsack ziehen.
Vom Pfarrhaus aus führte eine überdachte Holzbrücke über den Bach. Kleine Fenster ließen Tageslicht herein. Im Januar war ein aufgeregter amerikanischer Professor vorgefahren. Er sagte, er wolle ein Buch über gedeckte Holzbrücken in Europa schreiben. Hundert hatte er bereits gefunden, dieses war die hundertunderste. Es waren nur noch wenige Wochen bis zum Andrucktermin, der Professor fotografierte die Brücke schnell, vermaß sie und fuhr wieder weg.
Catrin Roßberg, eine zierliche Frau mit blasser Haut, trug ihre blonden Haare hochtoupiert. Wir bauten am dritten Morgen gemeinsam ein Gemüse-Rondell, indem wir die Erde zum Schutz vor Schnecken mit gebrochenen Dachziegeln umsteckten.
Catrin hatte eine anstrengende Kindheit in Karl-Marx-Stadt, sie half ihrer Mutter bei
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