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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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mich an dem, was Sonja erzählte, besonders berührte, war eine Formulierung, die sie benutzte. Sie sagte, auf der Ladefläche dieses LKW sei sie so schnell gealtert, daß sie jetzt älter als ihre eigene Mutter sei.
    |157| Das war außergewöhnlich. Das gehört notiert. Ihr das in diesem Moment zu sagen, war natürlich unmöglich. Aber wenn sie die Weihnachtsgeschichten liest, wird sie die Formulierung vielleicht wiedererkennen. Mich hat sie an das eigene Altern erinnert. Daran, wie rapide es einsetzte, als sich die schützenden Ideen von einst verflüchtigt hatten.
    Der Taubenschlag des Nachbarn steht offen.
    Es wird Tag.
    Die Tiere geben ihrem Drang nach dem Himmel nach und steigen mit hart sirrendem Flügelschlag auf, einige kacken mir im Vorbeifliegen auf die winterfest verschnürte Hollywoodschaukel. Sie drehen eine Runde über dem Dach, und schon ist ihr Drang gestillt. Oder die Angst vor den Habichten hat ihn verdrängt. Ein paar Mutige lassen sich noch auf der Hochspannungsleitung am Kanal nieder. Ansonsten, wo man auch hinsieht, derselbe abscheuliche Kreislauf von Aufstieg und Fall.
    Aber der Morgen ist überraschenderweise ohne Schmerz verstrichen. Die Uhr über der Garage des Nachbarn zeigt neun. Die Sonne läßt die letzten, toten Blätter an der Birke schillern.
    Die Nepuzener müssen mich zuversichtlich gestimmt haben. Wenn es weiter so gut geht, wird nach einem kleinen Mittagsschlaf die neueste Weihnachtsgeschichte überarbeitet, und dann werde ich beginnen, den Baum zu schmücken.
     
    P.S.   Ich habe eine große Ladung Schokoladenkekse von Lindt auf ARS Namen bestellt und mit Rechnung an ihre Adresse nach Berlin schicken lassen. – Eine Art symbolischer Beteiligung an den Unkosten der Veröffentlichung. ARS ißt keine Schokolade, aber sicher wird sie jemanden zum Beschenken haben.

|158| Allejubeljahre.ad
    Wenn das Jahr in die weihnachtliche Endrunde rutscht, gerät die Vorfreude meistens auch ins Rutschen, was nicht so sein soll und weshalb man Kunsteisbahnen vor Kaufhäuser stellt. Die sollen das Wegrutschen der Freude kaschieren, es aussehen lassen wie eine Körperbewegung. Die meisten Leute hoffen auf die Zeit zwischen den Jahren. Sie sehen darin eine Art Bande, die die Rutschenden auffängt, und dann ist Silvester, ohne daß einer aufgefangen worden wäre, und die Freude schon gar nicht.
    Ich rutsche eigentlich nie, aber einer schubst immer.
    Unter meinem ersten selbstgefällten Weihnachtsbaum, der noch ungeschmückt war, zog ich mein geleastes Notebook auf den Schoß und tippte Botschaften, die ich in alle Welt verschickte, fröhliche Grüße zur Heiligen Nacht, wobei mir ein Internetprogramm beim Übersetzen half. Man hatte mir das auf einer Umschulung zur Privatsekretärin beigebracht, aber weil mich kein Privater zur Sekretärin nahm, benutze ich das jetzt privat. Die Botschaften gingen an meine polyglotten Freunde, auch sie hatte ich aus dem Internet.
    Meine Freundin vom Dorf war im letzten Jahr in den Nachthimmel hinein davongesaust, und dann hatten wir |159| uns erst im Hochsommer wiedergetroffen, aber im Hochsommer erkenne ich sie meistens nicht, es scheint, als ändere sich mit der Kleidung auch ihr Gesicht. Ihr Verhalten wird flüchtig, luftig und sehr anschmiegsam, vor allem, wenn ein Bademeister in der Nähe ist mit in der Sonne funkelnder Haut. Wir ziehen es vor, uns nur im Winter zu treffen. Aber die Zeit dazwischen zieht sich ganz schön hin, wenn man eine kleine Sehnsucht hat und sich auch sonst niemand meldet.
    Im zweifelhaften Lichtschein des Internet meldeten sich viele.
    Darunter tauchte eine auf, die mir irgendwie bekannt vorkam, deren Email aber einen fiesen Inhalt hatte:
    »Du hast Berenice getötet«, lautete, was da in pinkfarbener, etwas veralteter Schrift auf dem Bildschirm erschien. »Du hast sie mir weggenommen und dann getötet. Und jetzt krieg ich dich dran!«
    Berenice war die luzide Gestalt, in der mir meine Freundin damals erschienen war, als ich mit der Sieben beim Roulette eine Menge Geld gewann. Das Geld war längst weg.
    Ich starrte auf die Schrift, die schwer und heftig zu atmen schien, pinkfarbener Atem, aber nichts von wegen Mandel-, Zimt- und Orangenodem, ein richtig mies röchelnder Verbrecheratem war das, eingespielt aus dem Off, kurz: Ich nahm die Drohung ernst. Obwohl das »Drankriegen« nicht mehr zum aktuellsten Wortschatz gehört.
    Draußen standen die Bäume starr im Frost. Der Nebel hatte aus allem die Farbe gesaugt, und übrig blieben

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