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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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schien der richtige Augenblick gekommen ihr von ARS zu erzählen. In die beginnende Dunkelheit hinein beschrieb ich ihr meine sinnlosen Versuche der Kontaktaufnahme. Es war das erstemal, daß ich darüber sprach, es klang fremd und überspannt, aber ich hörte nicht auf.
    Nur die Bestechung des Postboten oder die gefälschte Email ließ ich aus. Das wäre für eine Außenstehende schwer zu verstehen gewesen. Ich erzählte auch nichts von der Nachbarin, die mich vor Monaten in ARS Wohnung gelassen hatte. Ich war so lange um sie herumscharwänzelt, daß sie mir schließlich gestattete, in ARS Abwesenheit zwei Stunden in der Wohnung zu verbringen. Am Ende hatte ich ein paar heruntergetretene Turnschuhe mitgehen lassen, nicht etwa, weil sie besonders schön gewesen wären oder weil mir das am unauffälligsten schien. Ich war einfach nicht in der Lage gewesen, mich zwischen all ihren Sachen zu entscheiden.
    Ich versuchte, Sonja den Zauber der ersten Begegnung mit ARS begreiflich zu machen. Ich redete von dem neuen Verlauf, den das Leben seither genommen hatte, von diesem |155| berauschenden Gefühl einer umwälzenden Veränderung, das früher nie denkbar gewesen wäre und das ich der Frau, als sie etwas Ähnliches erlebt haben mußte, damals nicht abgenommen hatte. Sonja trank ihren Tee. Sie nickte nicht und sagte nichts, sie schien nicht besonders beeindruckt. Weder von meiner Sammlung, nach Jahrgängen und Fundorten sortiert, noch von den Kränkungen und Zurückweisungen. Nicht einmal den häßlichen Zwischenfall vor ARS Haus kommentierte sie. Erst, als ich die Weihnachtsgeschichten erwähnte, horchte sie auf. Irgendwie schien sie von meinen schriftstellerischen Ambitionen gerührt. Jedenfalls bekam ihr Blick etwas Mildes, Mitfühlendes, sie stellte ihr Teeglas ab und berührte meinen Arm. Ihre Haut erinnerte an weißschimmerndes, beinahe flüssiges Porzellan; eine Assoziation, die ich bei unseren Umarmungen nie habe. Sie berührte meinen Arm und sagte auf russisch etwas, das dem Tonfall nach tröstlich klang. Es hörte sich an wie »armer schwarzer Kater«.
    Meine Besuche in ihrem pinkfarbenen Bungalow haben sich nach diesem Abend reduziert. Sonja zu besuchen, war ohnehin oft quälend, weil diese Besuche meinen Vorstellungen vom Zusammensein mit einer Frau widersprechen. Ich muß jedesmal über meine Grenzen gehen und tue es nur, wenn es unbedingt nötig ist, und meistens beschränkt sich unsere Begegnung auf Gespräche.
    Ein Zimmer in ihrem Bungalow zu mieten, wäre etwas anderes.
    Als müsse sie ein Gleichgewicht zwischen uns wiederherstellen, vertraute Sonja mir an diesem Abend auch ihre Geschichte an. Sie lehnte am gardinenlosen, von einem blinkenden Neonherz beleuchteten Fenster, sie war beinahe ganz im Schatten, wir hatten kein Licht gemacht. Sie erzählte mir von Frauen, die aus Jekaterinburg, Omsk, |156| Smolensk oder Kaliningrad einem Unbekannten mit rotem Haar, Stutzerbart und gedrungener Statur auf ein Heiratsversprechen hin nach Kassel folgen. Sie verstehen kein Wort von dem, was er sagt. Aber das ist die bessere Alternative, als einem pelzigen Russen ausgeliefert zu sein, den sie zwar verstehen, der aber inhaltlich außergewöhnlich fade ist. Und selbst, wenn sie die deutsche Sprache dann lernen und entdecken, daß auch der Rothaarige über nichts als Volkswagen-Motoren und Bundesliga-Ergebnisse spricht, bleiben sie dennoch bei ihm. Manchmal werden sie geheiratet und manchmal nicht, und wäre Sonja geheiratet worden, wäre sie nicht in diesem Bungalow gelandet, der noch aus Ostzeiten stammt mit einem Wellblechdach und Wänden aus Preßspanplatte.
    So aber lief ihr Visum ungenutzt ab, und eines Tages, als er an einer Tankstelle bezahlen ging, stieg sie aus dem Auto, verschwand auf der Damentoilette, wo sie drei Stunden still wartete, bis sie sicher sein konnte, daß er abgefahren war. Ein Lastwagenfahrer nahm sie nach Berlin mit. Mit ihm konnte sie sich überraschend gut unterhalten, über politische und historische Fragen kamen sie schnell ins Gespräch. Er war studierter Sozialwissenschaftler und hatte auf seinem Gebiet keine Arbeit gefunden. Nachdem ihm klargeworden war, woher sie kam, fuhr der frühere Sozialwissenschaftler nahe der früheren innerdeutschen Grenze allerdings von der Autobahn ab. Er bog wortlos in einen Feldweg ein und sprach während der ganzen Zeit, in der er hinten auf der Ladefläche mit ihr umstandslos das tat, was beinahe täglich in den Zeitungen steht, nicht mehr mit ihr.
    Was

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