Vom Finden der Liebe und anderen Dingen (German Edition)
einer Doppel- CD zutage. Auf dem Cover war eine junge, irgendwie nuttig aussehende Frau, die im Begriff stand, ein Mikro zu küssen. Ich weiß noch, dass Ms Delanceys Hände zitterten, als sie mir die Hülle gab.
»Mein Künstlername war Marilyn Starr.« Sie seufzte. »Das fanden wir damals ganz clever.«
Endlich zählte ich zwei und zwei zusammen und schaute mir die Hülle noch mal an. Ihre Haare, die Lippen und ihr Gesicht waren total anders, aber trotzdem sah man, dass es Ms Delancey war, vielleicht vor zwanzig Jahren. Da ich nun wusste, dass die Musik, die wir hörten, von ihr gesungen wurde, hörte ich genauer hin. Ich fand das Lied zu schnell und dass es zu viele Instrumente gab, doch ihre Stimme fand ich ganz okay. Es hätte mich nicht überrascht, es im Radio zu hören, aber wahrscheinlich hätte ich es dann ausgemacht.
»Es gefällt mir«, sagte ich.
»Das Musikgeschäft ist zu riskant«, sagte sie. »Man kann sein ganzes Leben auf den Durchbruch warten, und dann kommt er womöglich doch nicht. Fast alle geben auf. Ich habe an dem Tag aufgegeben, als mir klar wurde, dass ich ein Engagement bei einem Begräbnis angenommen hatte. Das war dann der letzte Tropfen. Und gleich am nächsten Tag habe ich Bill kennengelernt.«
Sie drehte die Musik lauter und schwieg den Rest der Fahrt. Das muntere Lied ging zu Ende, und es folgte ein viel langsameres. Es war ein echt trauriges Lied über ein Mädchen, das seinen Freund liebt, obwohl er sie belügt und den ganzen Tag verdrischt. Nach ungefähr der Hälfte sang Ms Delancey mit. Sie sah ziemlich komisch aus, das Gesicht total verzerrt, mit einer Hand drückte sie sich irgendwie so in den Bauch, die andere hatte sie am Steuer. Ein paar Strophen sang sie mit geschlossenen Augen, daher war das Ganze für uns beide extrem gefährlich, aber die Laute, die aus ihrem Mund drangen, waren doch richtig schön anzuhören, und fast musste ich weinen. Es klang so viel besser als die CD , so viel weicher und klarer, und ich weiß noch, wie ich dachte, dass sie es niemals hätte aufgeben sollen, weil sie bloß noch ein bisschen mehr Zeit gebraucht hätte.
Es dauerte sechs, sieben Lieder, bis wir bei dem Restaurant waren. Es war so ein ganz schicker Chinese mit schönen lila Wänden und einer perfekten Klimaanlage. Wir aßen in einer Nische mit zwei leuchtenden Laternen auf dem Tisch. Inzwischen aß ich regelmäßig ungefähr die Hälfte der Speisekarte bei McDonald’s, aber in so einem Restaurant hatte ich noch immer keine Chance. Ich versuchte, die Gerichte zu nehmen, die am wenigsten eklig klangen, aber Ms Delancey schlug mir ständig Sachen vor und bot mir Häppchen von ihrem Teller an, daher musste ich viele Sachen essen, von denen ich gleich wusste, dass ich sie widerlich fand. Das war einer der schwierigsten Momente in meinem Leben, diese chinesischen Sachen zu essen. Ich würgte die kleinen Frühlingsrollen runter und so eine richtig stinkende Suppe und diese ganzen kleinen Paprika und den Reis, der voller ekelhaftem Schweinefleisch war, und in meinem Mund war es ganz glitschig und widerwärtig, und dass Julias Mutter die ganze Zeit trällerte, wie köstlich alles sei, und mir ständig grässliche Sachen auf den Teller lud, machte die Sache auch nicht besser, aber ich war ganz tapfer und aß alles auf. Aß alles aus Liebe.
Ms Delancey war in vielerlei Hinsicht wie ein Teenager, nicht nur wegen ihrer Kleider und der Frisur. Eigentlich erinnerte sie mich an Cecily und ihre Freundinnen. Wenn ich mit ihr zusammen war, hatte ich immer das Gefühl, dass gleich was kaputtging. Einmal fegte Ms Delancey ein ganzes Tablett mit Essen auf den Boden – und als der Kellner kam, um es aufzusammeln, brachte sie irgendwie alle dazu, so zu tun, als wäre es seine Schuld gewesen. Aber im Grunde mochte ich sie trotzdem. Ich mochte es, dass sie sich für mich interessierte, und ich fand ihre Kleider toll und wie umwerfend sie war, und fast konnte ich mir vorstellen, dass ich mit Julia in zwanzig Jahren in einem China-Restaurant aß.
Als wir fertig gegessen hatten, fragte sie mich: »Würdest du denn gern mal Golden Oaks sehen?«
»Was ist das?«
»Erzählt sie dir denn gar nichts? So heißt das Haus, in dem Julia aufgewachsen ist. Ich mache die ganze Schlossbesichtigung mit dir.«
Ich glaubte, dass mir da gar keine Wahl blieb. Es zeigte sich, dass es wieder fast eine Stunde Fahrt an all den riesigen Feldern und Farmhäusern vorbei bedeutete und danach ein paar Kilometer Wald, und als
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