Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
noch immer wälzte sich eine lange Reihe von Reisenden durch den engen Gang auf der Suche nach freien Plätzen. Ich schloss die Augen und sofort erschien Wolframs Bild vor mir. Wolframs Gesicht, das Bernhards Sätze sprach, um genau zu sein. Ich konnte gar nicht anders, ich musste lächeln. Bernhard hatte mir so nette E-Mails geschrieben, gestern noch und heute Morgen. Ich hatte sie unbeantwortet gelassen. Auch wenn es mir schwer fiel. Sollte er ruhig noch einige Tage zappeln. Wenn ich denke, wie sehr ich mich schon auf unser erstesTreffen gefreut hatte! Endlich schien ich meinem Ziel ganz nah zu sein: »Mr. Right« wartete an der nächsten Straßenecke. Ich brauchte nur noch hinzugehen und ihn mir zu schnappen! Und dann dieser brutale Rückschlag. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Ich hatte mir mein Leben mit Bernhard schon in allen Details ausgemalt. In meinen Träumen hatten wir bereits die ganze Welt bereist. Wir hatten dieselben Wertvorstellungen und ähnliche Interessen. Wir wollten beide beruflich bald etwas kürzer treten und das Leben genießen. Und jetzt gehörte dieser Mann nicht mir, sondern irgendeiner Bernadette, die durch die Welt flog und ihn gar nicht so richtig zu schätzen wusste! Ach, es war so ungerecht! Mit einem Ruck richtete ich mich auf: Was half es mir denn, in Selbstmitleid zu versinken? Gar nichts. Natürlich würde ich Bernhard treffen, wenn ich wieder zu Hause war! Wer sagte denn, dass ich diese Bernadette nicht mit einem Streich abservieren konnte?
»Hi, das ist aber eine nette Überraschung! Neue Frisur?«
Gregor Neuhof wuchtete seine Reisetasche ins Gepäckfach über meinem Sitz. Dann ließ er sich auf den Platz neben mir fallen und stopfte einen Berg Zeitschriften in das Netz am Vordersitz.
»Oh, hallo«, begrüßte ich ihn und wusste nicht, ob ich mich freuen sollte. Sicher, eine nette Plauderei würde die lange Fahrzeit verkürzen. Allerdings: Was sprach man mit einem Mann, den man so gut wie gar nicht kannte und der mit Sicherheit ein ganzes Stück jünger war als man selbst? Vorsichtshalber rückte ich meinen Diskman näher.
»Heute ohne Norbert?«, fragte ich, um irgendetwas zu sagen. Er hatte meine neue Frisur bemerkt, das war erstaunlich, wenn man bedachte, dass wir uns erst dreimal gesehen hatten. Ich freute mich natürlich darüber, wusste aber nicht, wie ich auf seine Feststellung reagieren sollte.
»Norbert ist bei meiner Frau«, hörte ich Gregor Neuhof antworten.
»Jemand zugestiegen?«, brüllte gleichzeitig der Schaffner, der sich direkt neben uns aufgestellt hatte. »Die Fahrkarten bitte!«
»Dort lasse ich ihn immer, wenn ich verreise. Es hat keinen Sinn, den Hund durch die Lande zu schleppen. Hier im Zug hat er ohnehin nirgends Platz. Und in Wien kann ich ihn nicht brauchen«, Gregor Neuhof kramte in der Tasche seines Sakkos nach seinem Fahrschein.
Bei seiner Frau. So so, aha. Gregor Neuhof war verheiratet. Natürlich. Das war ja nicht anders zu erwarten gewesen. Anscheinend waren alle guten Männer vergeben. Ich ärgerte mich, dass ich mich bei Gregor Neuhof darüber ärgerte. Denn an diesem Mann hatte ich doch gar kein Interesse! Meine Gefühle waren oft so verworren, dass nicht einmal ich ihnen folgen konnte.
Herr Neuhof hatte in der Zwischenzeit ebenfalls die gelben Hinweiszettel über unseren Köpfen studiert: »Sie fahren auch nach Wien!«, stellte er fest, und es klang erfreut, »das nenne ich einen Zufall. Was treibt Sie in diese schöne Stadt? Machen Sie Urlaub?«
Ich schüttelte den Kopf: »Nein, ich fahre zu einem internationalen Kongress der Zahnärzte.«
Er grinste breit, bevor er die Stirn in verwunderte Falten legte: »Und was machen Sie auf diesem Kongress? Begleiten Sie Ihren Mann?«
»Mein Mann ist tot«, es klang schärfer als beabsichtigt, »außerdem war er Rechtsanwalt. Es soll auch Frauen geben, die zu Kongressen fahren, Herr Neuhof. Ich zum Beispiel. Ich bin Zahnärztin.«
»Sie sind Architektin. Oder Bauingenieurin«, korrigierte er mich. Ich war nur in den ersten Sekunden verwundert. Dann fiel mir sofort die peinliche Geschichte wieder ein. Als Carla und ich über das reich gedeckte Buffet hergefallen waren. Ohne eingeladen zu sein. Und ohne zu zahlen. Ich erzählte ihm, was passiert war, und er amüsierte sich königlich.
»Ach, jetzt verstehe ich. Darum waren Sie damals so rasch verschwunden. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Es beruhigt mich zu wissen, dass nicht ich der Grund für Ihre Flucht war. Ich hatte schon
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