Vom Internet ins Ehebett (German Edition)
durchtrainiert gewesen? Die Haare trug er länger, als ich es in Erinnerung hatte. Es stand ihm gut. Wieder kein Dreitagebart. Glatt rasiertes, markantes Kinn. Sehr männlich.
»Rosalind, reiß dich zusammen!«, befahl Tante Hildegard.
»Ich danke für die Einladung«, Greg lächelte in die Runde.
Seine Stimme brachte sofort wieder etwas in mir zum Klingen, was sie nicht zum Klingen bringen sollte. Energisch rief ich mich abermals zur Ordnung. Ich würde Stefan anrufen, ob wir uns zum Mittagessen treffen könnten. Je schneller ich auf andere Gedanken kam, desto besser.
»Den meisten von euch habe ich das Kommen von Herrn Neuhof bereits angekündigt«, Frank Spörer wandte sich dann an Kollegen Tröger und mich: »Rosalind, Hans-Peter, euch habe ich leider nicht erreicht. Doch ich denke, dieses Vorhaben ist auch in eurem Sinne. Herr Neuhof wird sich unsere sämtlichen Räume ansehen und nach Feng-Shui-Kriterien überprüfen. Besonderes Augenmerk wird er selbstverständlich auf unseren Empfang legen. Es kann doch nicht sein, dass es dort keine Mitarbeiterin aushält. Wir brauchen einen Fachmann, der uns hilft, diesen Arbeitsplatz mitarbeiterfreundlicher zu gestalten. Wer von uns hat schon Lust, noch einmal mühevoll eine Mitarbeiterin auszuwählen und aufzubauen, um sie dann binnen kürzester Zeit wieder zu verlieren?«
Die anderen Kollegen nickten zustimmend. Ich beeilte mich, es ihnen gleichzutun.
»Gibt es von eurer Seite noch Fragen, die wir vorab klären sollten? Wenn nicht, möchte ich Herrn Neuhof um ein paar einführende Worte bitten, damit wir uns ein Bild davon machen können, was auf uns zukommt.«
»Also, ich bin skeptisch«, meldete sich Kollege Tröger zu Wort. Er war ein verschlossener, kritischer Mann. Ein guter Zahnarzt, gewiss. Doch ich hatte ihn noch nie lachen sehen. Und wenn wir etwas vorhatten, dann war meistens er es, der die stärksten Bedenken anmeldete. »Meine Räume können Sie von Ihrer Untersuchungsliste streichen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich möchte mich um meine Patienten kümmern. Damit verdienen wir schließlich unser tägliches Brot.«
Er machte kehrt und öffnete die Tür. Wir waren fassungslos. Der Kollege war mürrisch und selten gut gelaunt. Aber dass er so unfreundlich zu einem Gast war, das warf ein schlechtes Bild auf unsere gesamte Praxisgemeinschaft.
Frank Spörer zog hörbar die Luft ein.
Greg nahm es mit Gelassenheit: »Natürlich, bitte lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten. Ich verstehe, dass diese Wissenschaft nicht jedermanns Sache ist.«
Kollege Tröger hielt im Gehen inne, noch immer die Hand auf der Türklinke. »Wissenschaft?« Seine Stimme triefte vor Hohn.
»Selbstverständlich: Feng Shui ist eine Jahrtausende alte Energielehre aus China. Es ist die Wissenschaft von der Gestaltung der Wohn- und Arbeitsräume in Übereinstimmung mit ihren Bewohnern und der Natur.« Greg überzeugte sich, dass Tröger bereit war, ihm weiter zuzuhören. Und als dieser nichts erwiderte, sondern stumm im Türrahmen stehen blieb, fuhr er fort: »Ich möchte Sie gar nicht lange mit der Theorie aufhalten. Ich habe Ihnen das Manuskript meines Vortrags in Wien mitgebracht. Wenn Sie Zeit haben, vielleicht schauen Sie kurz hinein. Vieles, was man näher kennt, wirkt nicht mehr so erschreckend.«
Er überreichte Tröger eine Mappe, der sie zögernd, aber doch entgegennahm. Greg schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln: »Menschen leben am glücklichsten in einer harmonischen Umgebung – ich denke, da sind sich Arzt und Architekt einig.«
Tröger schloss die Tür wieder.
»Ich möchte mich für meine Schroffheit entschuldigen«, sagte er mit um Verzeihung heischendem Gesichtsausdruck, »ich wollte keinesfalls Ihre Kompetenz infrage stellen, Herr Neuhof. Es ist nur so, dass meine Frau vor vierzehn Tagen einen Feng-Shui-Kurs für Anfänger besucht hat. Und nun hängt in der Ecke unseres Schlafzimmers, das sie die ›Kinderecke‹ nennt, ein Poster von dieser amerikanischen so genannten ›Fotokünstlerin‹. Man muss sich das einmal vorstellen: ein dickes Kind in einem Kohlkopf! Meine Frau trägt sich schon lange mit einem Kinderwunsch, müssen Sie wissen. Leider hat es bis dato nicht geklappt. Und jetzt haben wir Bilder von pausbackigen Kindern an den Wänden und Windspiele vor dem Fenster. Die klingen und läuten, wann immer ein Windhauch durch unsere Räume zieht. Und die Fenster lassen sich auch nicht mehr ordentlich öffnen.«
Seine Stimme klang so
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