Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
schon bald als Haustier zu mir nehmen will, sehe zu, wie sie ihre Beute, eine graue Feldmaus, belauert, und fliege weiter, ehe sie sich auf sie stürzt.
Ich schwebe über Feldwege und kleine Ziegelhäuser mit verrosteten Autos in den Vorgärten. Dabei wünschte ich, wir könnten bis zu den Bergen fliegen, zur Sangre de Cristo-Bergkette, die ich in der Ferne erahne, doch der Rabe hat andere Pläne. Und auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ich ihn lenken, wenn nicht gar überreden könnte, begreife ich, dass er mir etwas Spezielles zeigen will.
Wir schwenken nach links, gehen tiefer und gleiten haarscharf an den Telefondrähten vorüber, ehe wir am Bushäuschen gegenüber dem Rabbit Hole Halt machen. Und da begreife ich, was hier tatsächlich abläuft – während mein Körper bei Paloma bleibt, verschmilzt meine Energie mit der des Raben. Ich kann sehen, was an verschiedenen Orten passiert, und sehen, was er sieht, ganz egal, wie weit weg es ist.
Wir flattern näher heran, und schließlich landen der Rabe
und ich auf einem Laternenpfahl über der Gasse. Ich sehe Audens alten Kombi neben dem Hintereingang stehen, während er und seine Bandkollegen ihre Instrumente in den Club schleppen.
Mein Interesse steigt, als Dace zum Hintereingang herauskommt, in jeder Hand einen schweren Müllsack. Er bleibt kurz stehen, damit Audens Bandkollegen vorbeikönnen. Seine Arme biegen sich unter der Last der Müllsäcke durch, seine Schritte sind selbstsicher und weit, und er bewegt sich auf eine Art, die das nachlassende Sonnenlicht um ihn herum regelrecht schimmern lässt.
Ich registriere jede Einzelheit. Verfolge jede Bewegung. Hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Scham darüber, dass ich ihn so ausspioniere. In Gedanken wiederhole ich Palomas Worte:
Er ist nicht dein Feind, er ist nicht wie die anderen Richters. Seine Seele ist gut und rein.
Er steht vor dem Müllcontainer, sieht sich kurz in der Gasse um, als wollte er sich vergewissern, dass ihn niemand beobachtet, ehe er die Augen schließt und die Säcke loslässt. Völlig baff sehe ich zu, wie sie ihm aus den Händen springen und direkt in dem großen Metallcontainer landen.
Anscheinend bin ich nicht die Einzige hier, die sich an ein bisschen Telekinese erfreut.
Er wischt sich die Hände an seiner Schürze ab und geht auf einen roten Ziegelbau zu. Dort zückt er sein Handy, schiebt sich die Ohrstöpsel in die Ohren und lehnt sich mit geschlossenen Augen an die Wand, während er einer Melodie lauscht, die ihn so friedlich und verträumt aussehen lässt, dass ich am liebsten auf seiner Schulter landen und mithören würde.
Ich flattere von meinem Platz auf, um Dace besser sehen zu können. Mithilfe der Rabenaugen studiere ich den Glanz
seiner Haare, die ihm übers T-Shirt fallen, die lange, schlanke Linie seines Körpers, die Art, wie die Schürze an seiner Taille enger wird und sich über seinen Schenkeln weitet. Ich betrachte ihn, so lange es geht, und bedauere es, als er sich seufzend von der Wand abstößt und wieder hineingeht. Ich folge ihm, sorgsam darauf bedacht, mich dicht an den Häusern zu halten und ungesehen zu bleiben. Ich begleite ihn den ganzen Weg bis zur Hintertür des Clubs, wo inzwischen die Frau steht, die mich bei meinem letzten Besuch hier bedient hat.
Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, und Cade, der sich zu ihr herunterbeugt, putzt sie in einer Weise herunter, dass sie beschämt zusammenzuckt.
Ich überlege schon, ob ich irgendetwas tun soll, um ihn aufzuhalten, ihm mit dem Schnabel in seine gruseligen Augen hacken, als Dace vortritt und die Sache auf weniger gewaltsame Art regelt.
Er legt einen Arm um sie und murmelt ihr leise Trostworte zu, während er seinen Bruder böse anschaut und sagt: »Das reicht.«
Cade zieht eine finstere Miene und macht eine abschätzige Handbewegung zu seinem Bruder hin. »Halt dich da raus, Whitefeather. Das ist nicht dein Bier«, zischt er, wendet sich wieder der Bedienung zu und macht da weiter, wo er aufgehört hat.
Doch Dace greift erneut ein. »Du hast dafür gesorgt, dass es mein Bier ist«, sagt er, dreht sich zu der Kellnerin um und führt sie nach drinnen.
Ihr plötzliches Verschwinden lässt Cade vor Wut schäumen. »Du hast kein Recht, dich einzumischen!«, brüllt er.
Dace hebt eine Schulter, verschränkt die Arme vor der Brust und sagt: »Sie arbeitet hart. Du musst ein bisschen Nachsicht mit ihr haben.«
»Wer zum Teufel bist du, dass du mir sagen kannst, was ich zu tun
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