Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
umgehen.
Ich schloss die Augen, während ich über den rückwärtigen Teil des Rahmens tastete. Hier war eine Tasche eingenäht. Ich griff hinein und zog ein kleines Büchlein heraus. Der Ledereinband war nicht beschriftet und mit dem Alter ganz weich geworden. Das Büchlein summte leicht, als hätte es von all den Zaubern, die um es herum gewirkt worden waren, Magie aufgenommen. Doch diese Magie fühlte sich klebrig an.
Ich schlug das Buch auf. Handschriftliche Zeilen füllten die Seiten; die Schrift war zu klein und zu kantig, um die meiner Schwester zu sein. Ich schlug die Seite um und entdeckte das kunstvoll gestaltete Abbild eines magischen Kreises. Eingezeichnet waren darauf auch die Wachtürme, die den vier Elementen zugeordnet waren, sowie die vier Hauptpunkte, die sich auf die Himmelsrichtungen bezogen.
Ein Buch mit Zaubersprüchen? Ich blätterte weiter und landete schließlich bei einem Zauberspruch, der Furcht in einem Feind erwecken sollte. Nein, das ist nicht irgendein Zauberbuch, sondern eins mit Zaubersprüchen grauer Magie.
Hinter mir flog die Tür auf. » Was tust du hier?«
Ich drehte mich um, wobei ich das Büchlein hinter meinem Rücken versteckte.
Casey stand in der Tür. Ihre Wangen flammten in einem ärgerlichen Rot, das durchaus mit der Farbe ihres Kleides konkurrieren konnte. Sie hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und die Ellbogen weit abgewinkelt, als wolle sie sich dadurch breiter machen.
» Ich frage dich noch einmal: Was tust du hier?«
» ›Hier‹ wie auf der Party oder…«
» ›Hier‹ wie in meinem Schlafzimmer, Alexis.« Sie rauschte in den Raum, blieb dann neben ihrem Bett stehen.
Ich hielt immer noch das Büchlein in der Hand. Was, zum Teufel, soll ich jetzt damit machen? Ich räusperte mich und senkte den Blick. » Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
» Ich wusste, dass du dich auf die Party geschlichen hast, weil ich dich unten im Ballsaal gesehen habe. Und ich wusste, dass du in meinem Zimmer bist, weil du in meinen Kreis eingedrungen bist.«
Ich betrachtete die Kandelaber, die die vier Hauptpunkte ihres Kreises markierten. » Dann bist du also eine…«
» Hexe?« Sie zog eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. » Ja. Und ich schwöre dir, dass ich dir das Leben zur Hölle mache, wenn du mich bei Daddy verpetzt. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich das ihm gegenüber zugeben würde.«
» Aber…« Aber mit mir wollte Daddy nichts mehr zu tun haben, weil ich eine Hexe bin. Mir hatte man den Stempel » Bastard« aufgedrückt. Und nun betrieb Casey, sein Lieblingskind, die süße Kleine, heimlich Magie. » Und wieso hat er nie etwas bemerkt?«
Sie ließ sich auf ihr Bett sinken. Das Scharlachrot ihres Kleides hob sich noch schärfer als das Rot der Kissen von der cremefarbenen Tagesdecke ab. » Ich bitte dich! Daddy ist so was von unsensibel. Mom muss jahrelang direkt unter seiner Nase Zauber gewirkt haben.«
» Und was ist mit Brad?«, fragte ich, und sie wandte den Blick ab.
Hatte er ihr das Buch mit den Zaubersprüchen gegeben? Schließlich war es hinter seinem Foto versteckt gewesen.
Casey sah mich immer noch nicht an.
Unauffällig schob ich das Büchlein in einen meiner Stiefel. Bequem war das nicht, und ich versuchte, es weiter nach unten zu drücken, doch da drehte Casey sich zu mir um. Ich stellte mich auf, strich den Rock glatt und bemühte mich um einen möglichst nichtssagenden Gesichtsausdruck.
» Ich habe nie wieder etwas von Brad gehört. Niemand hat von ihm gehört. Glaubst du wirklich, Daddy hätte dir nicht Bescheid gegeben, wenn Brad sich bei uns gemeldet hätte? Wo auch immer er sein mag, er weiß nicht, dass ich eine Hexe bin, und ich weiß nicht, ob er ein Magier ist. Nachdem du… na ja, du weißt schon…«
O ja, ich wusste. Nachdem sich meine magischen Fähigkeiten gezeigt hatten und es offensichtlich war, dass ich sie nicht verbergen konnte, hatte unser Vater mich fortgeschickt. Kaum hatte ich das erforderliche Alter, um im Internat angemeldet zu werden, da durfte ich meinen Koffer packen und wurde ins Flugzeug gesetzt. Ganz allein musste ich mich auf den Weg machen. Mit gerade mal acht Jahren. Casey war damals vier. Ein Alter, in dem man leicht beeinflussbar ist.
» Wann ist es dir bewusst geworden?«
Sie zuckte mit den Schultern. » Ich denke, ich wusste irgendwie immer schon, dass ich sensitiv war, aber erst vor ein paar Monaten habe ich einen Lehrer gefunden.«
» Hast du
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