Vom Umtausch ausgeschlossen
ja.« Jess sieht mich an. Sie sieht, wie niedergeschlagen ich bin. „Komm schon, Becky. Wenn du uns als Außenstehende betrachten würdest, würdest du uns da für Schwestern halten?«
»Ich... ich glaube nicht«, würge ich hervor.
Ich kämpfe verzweifelt gegen den Schock und die Enttäuschung. Doch gleichzeitig sagt mir eine Stimme tief in mir drin, dass es wahr sein muss. Ich komme mir vor, als hätte ich in den letzten zwei Wochen ständig versucht, meinen Fuß in einen viel zu kleinen Schuh zu zwängen. Ich habe den Fuß gequetscht und gedreht, mir die Haut abgeschürft... und jetzt sehe ich endlich ein, dass er mir nicht passt.
Sie ist nicht meine Schwester. Sie ist nicht mein Fleisch und Blut. Sie ist einfach nur... irgendeine junge Frau.
Und jetzt stehe ich da und betrachte diese junge Frau, die ich kaum kenne und die mich nicht einmal mag.
Urplötzlich will ich nicht mehr da sein.
»Gut«, sage ich und habe dabei Mühe, mich zu beherrschen. »Na, dann... gehe ich jetzt.« Ich sehe mich in dem schweigenden Saal um. »Macht‘s gut. Viel Glück mit eurem Protest.«
Keiner sagt was. Alle sehen aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mit zitternden Händen nehme ich mir meine Tasche und schiebe meinen Stuhl zur Seite. Auf dem Weg zur Tür begegnet mir so mancher mitfühlende Blick. Bei Jim bleibe ich kurz stehen. Er sieht ungefähr so enttäuscht aus, wie ich selber es bin.
»Vielen Dank für alles, Jim«, sage ich und versuche zu lächeln.
»Auf wiedersehen, Becky.« Er ergreift meine Hand. »War schön, dich kennen zu lernen.«
»Danke, gleichfalls. Grüß Kelly von mir.«
Als ich die Tür erreiche, drehe ich mich noch einmal nach Jess um.
»Na dann. Bye.« Ich schlucke. »Ich hoffe, alles läuft gut bei dir.«
»By Becky«, sagt sie, und zum ersten Mal blitzt so etwas wie Mitgefühl in ihrem Blick auf. »Ich hoffe, das mit Luke renkt sich wieder ein.«
»Danke.« Ich nicke, da ich nicht weiß, was ich sonst noch sagen soll. Dann drehe ich mich um und gehe hinaus in die Nacht.
20
Ich bin wie betäubt. Ich habe keine Schwester. Aus der Traum.
Ich sitze jetzt seit etwa einer Stunde auf meinem Bett in der Pension und glotze einfach nur aus dem Fenster auf die in der Ferne liegenden Berge. Aus und vorbei. Mein dämlicher Traum von einer seelenverwandten Schwester, mit der ich reden und lachen und einkaufen und Pfefferminzplätzchen essen kann - für immer ausgeträumt.
Nicht, dass Jess jemals mit mir einkaufen gegangen wäre oder mit mir Pfefferminzplätzchen gegessen hätte. Oder mit mir gelacht hätte.
Aber vielleicht hätte sie mit mir geredet. Wir hätten einander besser kennen lernen können. Wir hätten einander Geheimnisse anvertrauen und um Rat fragen können.
Ich seufze kellertief, ziehe die Knie an die Brust und schlinge die Arme um sie. So etwas ist in den Geschichten in Geliebte Schwester - Wo warst du? nie passiert.
Obwohl, doch, einmal. Da waren diese beiden Schwestern, von denen die eine der anderen eine Niere spenden wollte. Darum haben sie einen DNA-Test gemacht und dann dabei herausgefunden, dass sie gar keine Schwestern sind. Aber der Test ergab, dass sie vom Gewebe her trotzdem gut zusammenpassen, also haben sie das mit der Nierentransplantation doch durchgezogen. Und hinterher haben sie gesagt, im Grunde ihres Herzens wären sie für immer Schwestern. (Und aufgrund ihrer Nieren wohl auch, schätze ich.)
Aber hier war der springende Punkt eben, dass die beiden sich mochten.
Als ich merke, dass mir eine einsame Träne die Wange herunterläuft, wische ich sie mir unwirsch weg. Kein Grund, traurig zu sein. Schließlich bin ich mein ganzes Leben lang Einzelkind gewesen... und jetzt bin ich es halt wieder. Eine Schwester hatte ich nur für ein paar Wochen. Ist ja nicht so, als hätte ich mich großartig daran gewöhnt. Ist ja nicht so, als hätten wir eine Zuneigung zueinander entwickelt oder so.
Im Grunde genommen... ja, im Grunde genommen, bin ich sogar froh, dass das heute passiert ist. Wer will denn schon Jess zur Schwester haben? Ich jedenfalls nicht. Ganz bestimmt nicht. Ich meine, sie hat doch Recht: Wir haben überhaupt nichts gemeinsam. Wir verstehen einander einfach nicht. Wir hätten von Anfang an wissen sollen, dass das Ganze ein einziger großer Irrtum war.
Ich springe auf, öffne einen Koffer und fange an zu packen. Heute Nacht bleibe ich noch hier, aber gleich morgen früh mache ich mich auf den Weg zurück nach London. Ich kann hier nicht noch mehr Zeit
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