Vom Umtausch ausgeschlossen
den Stoß Kontoauszüge.
Ich werde sie mir selbstverständlich nicht genauer ansehen. Schließlich sind die Jess´ Privateigentum, und das respektiere ich. Und überhaupt geht mich das gar nichts an. Überhaupt gar nichts.
Das Dumme ist nur, dass mein Bein juckt. Ehrlich! Ich beuge mich nach vorn, um es zu kratzen... dann beuge ich mich noch ein bisschen weiter nach vorn... und noch ein bisschen ... bis ich die Ziffer ganz unten auf dem obersten Kontoauszug erkennen kann.
£30.000
Mir wird ganz flau im Magen, und ich setzte mich flugs wieder auf, wobei ich fast mein Sektglas umkippe. Mein Herz rast vor Schreck. Dreißigtausend Pfund? Dreißigtausend Pfund?
So viel hatte ich mein Konto noch nie überzogen! Noch nie. Nie!
Natürlich! Jetzt ist plötzlich alles so logisch! Klar! Kein Wunder, dass sie sich ihre Trainingsgewichte selber bastelt. Kein Wunder, dass sie ihre Thermosflasche überall mit hinschleppt. Das sind wahrscheinlich ihre ganz persönlichen Sparmaßnahmen kenne ich doch alles! Wahrscheinlich hat sie auch Mit dem Einkommen ein Auskommen haben von David E. Barton gelesen!
Mannomann, wer hätte das gedacht?
Als Jess zurück in die Küche kommt, betrachte ich sie mit ganz anderen Augen. Sie nimmt einen der Kontoauszüge in die Hand und seufzt - und in mir wallt grenzenlose schwesterliche Zuneigung für sie auf. Wie oft habe ich wohl schon einen Kontoauszug in die Hand genommen und so geseufzt? Wir sind eben doch Seelenverwandte!
Sie geht die Zahlen durch und sieht immer noch ziemlich gestresst aus. Na ja, kein Wunder, mit so einem fetten Minus auf dem Konto!
»Hi«, sage ich und lächele verständnisvoll. »Versuchst du immer noch, den kleinen Geldbetrag wiederzufinden?«
»Irgendwo muss er ja sein.« Sie runzelt die Stirn und sieht sich einen anderen Kontoauszug an.
Mein Gott, vielleicht ist die Bank kurz davor, bei ihr zu pfänden oder so. Vielleicht sollte ich ihr ein paar Tipps geben.
In vertrauensvoller Manier lehne ich mich zu ihr über den Tisch.
»Banken sind der absolute Albtraum, was?«
»Banken sind zu absolut nichts nütze«, sagt sie.
»Weißt du, manchmal hilft es schon, einfach nur einen netten Brief zu schreiben. Zu erzählen, dass man sich das Bein gebrochen hat oder so. Oder dass der Hund gestorben ist.«
»Wie bitte?« Jess sieht mich an. »Wozu das denn?«
Mann, die Frau hat echt keine Ahnung! Kein Wunder, dass sie im Schlamassel steckt.
»Na, ganz einfach! Um ein bisschen Mitgefühl zu wecken. Dann erlassen sie dir vielleicht die Überziehungsgebühren. Oder sie erweitern deinen Kreditrahmen!«
»Ich habe mein Konto nicht überzogen.« Jess sieht mich verwundert an.
» Aber -«
Ich verstumme, als mir die Bedeutung ihrer Worte klar wird. Sie hat ihr Konto nicht überzogen. Was heißt -
Mir wird ein klein wenig schwindelig.
Die dreißigtausend Pfund sind...
Sie sind tatsächlich richtiges Geld!
»Gehts dir gut, Becky?« Jess sieht mich fragend an.
»Ich... mir geht‘s prima!«, würge ich hervor. Ich stürze ein paar Schlucke Sekt herunter und versuche, die Fassung zu bewahren. »Also ... du hast dein Konto nicht überzogen. Na, das ist ja schön! Toll!«
»Ich habe mein Konto in meinem ganzen Leben noch nicht überzogen«, erzählt Jess mit fester Stimme. »Ist doch überhaupt nicht nötig. Ich bin der Meinung, dass jeder seinen Verhältnissen entsprechend leben kann - man muss es nur wirklich wollen. Leute, die sich verschulden, haben nur nicht genügend Selbstdisziplin. Dafür gibt es keine Entschuldigung.« Sie streicht ihre Unterlagen glatt, als ihr etwas einfällt. »Aber du hast doch mal als Finanzjournalistin gearbeitet, oder? Deine Mutter hat mir einige deiner Artikel gezeigt. Dann weißt du das ja alles.«
Ihre nussbraunen Augen fixieren mich erwartungsvoll, und mir wird plötzlich ganz anders vor Angst. Ich bin mir nämlich nicht so ganz sicher, ob ich möchte, dass sie weiß, wie es um meine Finanzen bestellt ist...
»Ich ... äh ... klar!«, sage ich. »Weiß ich alles. Ist alles nur eine Frage der... der Vorausplanung und des besonnenen Umgang mit dem Geld.«
»Genau!«, pflichtet Jess mir vorbehaltlos bei. »Sobald bei mir Geld reinkommt, zweige ich sofort die Hälfte davon ab und packe das auf ein Sparkonto.«
Sie tut bitte was!
»Großartig!«, gelingt es mir zu sagen. »Absolut vernünftig.«
Ich befinde mich in einem Schockzustand. Als Finanzjournalistin habe ich mich darüber ausgelassen, dass man monatlich stets eine bestimmte Summe
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