Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
entwickelt, ein Plan, der kaum Eingang in die Politik fand. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass die Stasiarchive erhalten blieben, sie hatte gegen alte Kader gekämpft, die nach dem Ende der DDR wieder die Macht an sich reiÃen wollten. Um den Kommunismus hatte es ihr nicht leidgetan, doch bald schon war sie desillusioniert.
»Nach der Wiedervereinigung haben sich die Verhältnisse so gestaltet, dass man das Gefühl hatte, man kann gar nichts mehr mitgestalten, es sei denn, man geht in eine Partei«, erzählte sie mir. »Ich sollte sozusagen eine Vorzeigefigur werden. Ich sollte stehen für â89 und für die Wiedervereinigung und sollte immer zu den runden Jahrestagen auf der Tribüne sitzen. Aber einen tatsächlichen Einfluss, den hatte ich nicht.« Die Menschen, die sich 1989 eingesetzt hatten, wurden jetzt nicht mehr gebraucht. Es kamen neue, die mit der Bürgerrechtsbewegung nichts zu tun hatten. »Vor â89 wusste keiner von uns, wer Angela Merkel war, oder Gauck. Diese Leute waren gar nicht bekannt. Ich habe irgendwie den Eindruck gehabt, mein Leben ist noch nicht zu Ende. Ich hatte Reiseverbot die ganzen Jahre, ich konnte nicht weg, und ich habe gedacht, ich möchte richtig ins Ausland gehen.« Da sie in der Schule Russisch gelernt hatte und glaubte, mit dem Serbokroatischen relativ gut zurechtzukommen, entschied sie sich für das ehemalige Jugoslawien. Sie war neugierig, in der DDR hatte sie kaum etwas über dieses Land erfahren. Sie wollte auch verstehen, wie es dort nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu einem Krieg hatte kommen können. »Es war mir lieber, an Projekten mit Flüchtlingen zu arbeiten, als an einer Uni zu sitzen und über die DDR oder â89 zu erzählen.«
Der Gründer und damalige Leiter der humanitären Organisation Cap Anamur hatte sie eingeladen, ihre Projekte in Bosnien zu betreuen. Als sie ankam, sah sie nichts als ausgebrannte Häuser und eingestürzte Dächer. »Da kam mir die Idee, diese Dächer zu bauen, ein Selbsthilfeprojekt. Jeder sollte die Möglichkeit bekommen, ein Dach auf seine Ruine zu setzen. Denn wenn kein Dach drauf ist, regnet es hinein, und sehr schnell werden die Mauern immer mehr angegriffen und fallen zusammen. Mit einem Dach ist das Haus erst einmal geschützt, und dann kann man weiterbauen.«
Für Cap Anamur sollte sie zunächst nur drei Monate arbeiten, doch »dann fand ich die Arbeit so interessant und, ja, ich hatte einfach das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.« Sie wechselte in das Büro des Hohen Repräsentanten der EU , Carl Bildt, der nach seiner Amtszeit als schwedischer Ministerpräsident an der Mediation des Dayton Peace Agreements beteiligt gewesen war. Bärbel Bohley war in seinem Büro für die Aufbauprojekte verantwortlich. Es gab praktisch keine Vorgaben, und so begann sie wiederum, Logistik, Baumaterial und Finanzierung bereitzustellen, um die Menschen beim Aufbau ihrer Dächer zu unterstützen.
Der Anblick von Bosnien nach dem Krieg war schockierend, er hat viele Menschen traumatisiert. Doch Bärbel kam das alles sehr vertraut vor. »Ich bin 1945 in Berlin geboren und dort groà geworden. Ich habe mich sehr schnell zurechtgefunden in der Situation, und ich glaube, das hat mit meiner Kindheit zu tun. Meine Spielplätze waren immer Ruinen gewesen, nur Trümmer. In unserem Haus lebten Flüchtlinge. Es war so ein Déjà -vu-Erlebnis.« Sie glaubt auch, dass ihre Erfahrungen in der DDR ihr geholfen haben. Sie wusste einfach, »dass sich die Leute selbst organisieren und ihr Leben in den Griff bekommen wollen, anstatt es bloà vorgesetzt zu bekommen. Man muss ihnen die Möglichkeiten geben, ihr Leben aufzubauen, eine gewisse Freiheit und ein gewisses Vertrauen in die Strukturen.«
Es war schwierig, weil die internationalen Organisationen mit der Einstellung dort ankamen, dass sie am besten wussten, was gemacht werden sollte. Sie hielten die Einheimischen für rückständig. Doch die Bosnier wussten zum Beispiel genau, wie man Dächer baut. »Die brauchen keinen Architekten aus Bayern, der für Zigtausende erstmal ein Projekt macht. Dafür könnte man drei Dächer schon wieder finanzieren.«
Eine der gröÃten Herausforderungen war es, gegen die Korruption anzugehen. Eine Menge Geld war unterschlagen worden, meistens, weil sich keiner mehr die Mühe machte, die Projekte, wenn sie einmal
Weitere Kostenlose Bücher