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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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nicht wusste, wie es meiner Frau und dem Kind ging. Nach einer halben Ewigkeit kam endlich die Ambulanz, nahm mich auf und raste weiter hinunter zum Meer. Die letzten Meter liefen wir, ich vorweg, dahinter die Ärztin und zum Schluss eine Schwester mit einer silbernen Box voller Instrumente.
    Der italienische Arzt hockte neben meiner Frau, die inzwischen auf dem Boden lag und mich angestrengt anlächelte.
    „Sie haben eine tapfere Frau“, sagte er zu mir. „Die hält viel aus. Ich habe ihr Wehenblocker gegeben“, wandte er sich an die Ärztin. „Die habe ich zufällig dabei, weil meine Frau auch hochschwanger ist.“
    „Sie muss in ein Krankenhaus. Wir fahren nach Mali Losinj“, entschied die Ärztin.
    Ich holte mit der Krankenschwester die Trage aus dem Auto, und meine Frau wurde in den Krankenwagen verfrachtet.
    „Ich komme hinterher“, rief ich ihr zu und eilte mit meiner Tochter zu unserer Ferienwohnung.
    Beinahe zwei Stunden waren wir unterwegs, bis wir das Krankenhaus erreichten. Aber zu meiner Frau durfte ich nicht. Unruhig lief ich auf dem Flur auf und ab, niemand kümmerte sich um uns. Nach über einer Stunde öffnete sich eine Tür, und eine respekteinflößende Mamuschka in einem weißen Kittel trat auf mich zu.
    Sie sprach in hartem Englisch mit mir und war sehr böse.
    „Was wollen Sie hier? Das wird dauern, die Wehen haben ausgesetzt. Ich habe ein Mittel gespritzt, um sie wieder auszulösen. Der Fall ist schwierig. Ich kann für das Leben ihres Kindes nicht garantieren. Gehen Sie irgendwohin und kommen in zwei, drei Stunden wieder.“
    Ich war geschockt.
    „Du lieber Himmel, das darf nicht passieren. Das darf meiner kleinen Frau nicht widerfahren“, fuhr es mir im Kopf herum.
    „Bitte helfen sie ihr!“, flehte ich. „Das Kind muss leben!“
    „Jedes Jahr kommen Touristinnen zu uns, sind hochschwanger und bringen sich und uns in große Schwierigkeiten. Es ist immer das Gleiche. Sie sind leichtsinnig. Haben Sie zu Hause keine Ärzte, die Sie beraten?“ Ärgerlich wandte sie sich ab und ließ mich stehen.
    Natürlich hatte meine Frau ihren Arzt gefragt, und der hatte der Reise zugestimmt. War wohl keine gute Idee gewesen.
    Ich fuhr mit meiner Tochter in ein nahe gelegenes Waldstück. Die Kleine setzte sich ans Steuer und spielte „Autofahren“, derweil ich unablässig auf und ab ging und mit den Tränen rang. Da plötzlich fiel mir die Prophezeiung meines Freundes Jan Balyon wieder ein, und alles stand auf einmal in einem klaren Licht.
    Natürlich, das war es. Das hatte er gesehen, und nun passierte es. „Beide werden leben“, hatte er gesagt. Unser Kind kam viel zu früh auf die Welt, in einem fremden, kommunistischen Land. Das war die Auflösung der geheimnisvollen Wahrsagung!
    Immer wieder führte ich mir das vor Augen und klammerte mich daran. Es half mir, die lange Zeit ohne einen Nervenzusammenbruch zu überstehen. Zurück in der Klinik musste ich mich weiter gedulden, bis sich endlich die große Flügeltür öffnete und meine süße, kleine, erschöpfte Frau mit einem matten, aber glücklichen Lächeln in einem Bett herausgeschoben wurde. In ihren Armen hielt sie ein winziges Bündel, eingepackt in Folie. Noch nie hatte ich ein so kleines Menschenwesen gesehen. Die Augen waren geschlossen, das dunkle Haar klebte am Kopf. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf, wie ein Felsbrocken fiel eine Last von mir ab.
    Unser Sohn wurde sofort nach Rijeka transportiert. Man wollte uns das Kind in diesem schwachen Zustand nicht mitgeben. Meine Frau sollte ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, dann könnten wir es in Rijeka abholen und nach Hause fahren. Es kam anders. Ich bestach zunächst die Polizei, um so schnell wie möglich Dokumente für die Ausreise zu bekommen, denn schließlich sind wir ja nur zu dritt eingereist.
    Am Ende mussten wir unseren Robert in Jugoslawien lassen. Meine Frau konnte ihn erst sechs Wochen später mit dem Flugzeug abholen, als sein Zustand sich stabilisiert hatte und er 2.300 Gramm wog. Heute ist er ein fröhlicher, gesunder junger Mann.
    So war das, und ich glaube nicht, dass die Prophezeiung und die Umstände, unter denen Robert zur Welt kam, nur zufällig zusammenpassten. Auch Jan war von der Hellsichtigkeit seiner Deutung der Karten überrascht und hat danach nie wieder eine Prophezeiung gewagt. Aber es gibt noch eine erstaunlichere Geschichte.
    Dritte Geschichte
    Meine Tochter, mein Weib und ich waren in Griechenland im Urlaub, auf der winzigen Insel

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