Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Doppelzimmer mit einem schmalen französischem Bett – mir steht eine Ohropaxnacht bevor.
Wir sind wieder unterwegs, um ein Restaurant für unsere hungrigen Mägen zu finden. Ich tapere in meinen Halbschuhen wie auf glühenden Kohlen hinter Martin her, der fröhlich mit seinen gepolsterten Laufschuhen voranschreitet, mit immer größer werdenden Schritten. Es geht zum Essen, und da vergisst mein Wanderbruder schon mal, dass er nicht allein ist. Hilflos sehe ich zu, wie sich der Abstand vergrößert und nirgendwo ein Gasthof oder so etwas Ähnliches auftaucht. Irgendwie hat die Wirtin Martin eine Beschreibung für eine Kneipe gegeben, nicht ganz nah, aber auch nicht zu weit. Doch ich kann und will nicht mehr.
„Wo soll der verdammte Schuppen denn sein?“, brülle ich ihm zu. „Mein Akku ist leer!“
„Dahinten, hinter den Bahnschienen soll ein Weg rechts reinführen, und dort müsste es sein. Die sollen gutes Essen haben“, antwortet er.
Ich sehe keine Bahnschienen und schnappe mir mein Fernglas, das ich noch in der Bauchtasche mit mir trage. Tatsächlich, durch das Glas kann ich die Schienen erkennen und gleichzeitig Martins Trieb, für ein gutes Essen auch bis in das nächste Dorf zu laufen.
„Da kannst du alleine hingehen. Das dauert ja noch mindestens eine halbe Stunde. Das schaff’ ich nicht mehr.“
Zögernd kommt mein Freund zurück und blickt mich hilflos an.
„Und nun?“, entfährt es ihm.
„Es muss hier doch verdammt noch mal noch was anderes geben“, denke ich und gehe unschlüssig ein Stück zurück.
Da sehe ich auf der anderen Straßenseite – etwas zurückgesetzt – eine Art Kiosk mit ein paar Plastiktischen und Stühlen davor und einem Mann, der an ihnen herumwerkelt. Martin will da nicht hin, es ist ihm zu schmuddelig. Ich vermute mal, er sieht seine Gourmet-Erwartungen dahinschwinden. Doch Pech für mich und Glück für ihn: Der Kioskbesitzer schließt gerade seinen Laden, und es würde eine halbe Stunde dauern, um die Fritteusen wieder hochzufahren. Keine Currywurst, kein Schnitzel, nicht mal ein belegtes Brötchen in Aussicht, und inzwischen versinkt die Sonne hinter den Häusern. Frustriert und gnatzig wenden wir uns ab – ein leerer Magen ist nicht zu ertragen.
„He, wartet! Hab’ ich ganz vergessen. Es gibt hier gleich um die Ecke einen Marmarisgrill, einen Türken. Der hat immer lange auf.“
Mir ist, als würde Galadriel aus der Ferne winken. Eine bessere Botschaft hätte auch sie jetzt nicht überbringen können. Ich walze, so schnell ich kann, neben Martin her, und wir betreten wenig später einen Ort in Ostanatolien – einen großen, asphaltierten Platz, an beiden Seiten und am gegenüberliegenden Ende begrenzt von schäbigen, verlassenen Gebäuden, die von der untergehenden Sonne in warmes, goldenes, melancholisches Licht getaucht werden. Sie müssen einmal als Büros und Lagerhallen gedient haben. Die beige Fassade ist schmutzig und verblasst, der Putz bröckelt, einige Fensterscheiben sind blind, manche durch Bretter ersetzt. Der vierstöckige Komplex uns gegenüber ist an der rechten Seite unterführt, und auf dem Hinterhof sieht man weitere verfallene Anlagen. Zur rechten Hand finden wir den Dönergrill – das einzige Lebenszeichen in dieser Industriebrache. Türkische Musik schallt aus der offenen Tür, vermengt sich mit der Wärme des Abends über dem öden Platz, dem goldenen, südländischen Zwielicht und dem staubigen Charme der heruntergekommenen Anlage. Ein Ambiente, das in seiner traurigen Verlassenheit fremd und anrührend wirkt.
Wir nehmen an einem Plastiktisch als einzige Gäste vor dem Dönerladen Platz und bestellen Pizza mit Hähnchen-Kebab, Salat und türkisches Bier. Da sitzen wir nun und schauen uns an. Fehlt nur noch, dass der Muezzin zum Abendgebet ruft. Unsere Stimmung ist gut. Wir sitzen, dass Essen schmeckt und es ist warm – wie einfach man zufrieden sein kann. Ab und zu fahren Autos vor, und die meist jungen Leute holen sich Pizzen oder Dönerkebab, eingepackt für unterwegs oder zu Hause. Das Geschäft brummt. Wir bestellen Raki beim türkischen Kellner.
„Zweimal, wenn gibt’s?“, fragt er.
„Jo, zweimal, wenn gibt’s“, antworte ich grinsend.
Letztendlich werden es vier Raki und noch zwei türkische Biere. Auf wackligen Füßen begeben wir uns in der Dunkelheit zu unserem Quartier zurück. Ich quetsche mich für die Nacht neben meinen mächtigen Wanderbruder, und mir wird Gott sei Dank die Gnade eines frühen Schlafes
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