Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
Vom Netzwerk:
einem großen Plastiksack im Rucksack verstaut habe, bis auf meine Bauchtasche mit den Wertsachen und der kleinen Digitalkamera, die ich in den Schlafsack packe. Ich bin fertig und warte auf Martin, der wesentlich akribischer vorgeht, getragene Sachen lüftet und sorgfältig den Rest im Rucksack verstaut.
    Um halb acht, die späte Sonne wärmt uns noch, sind wir beide so weit. Auf unseren Schlafsäcken und Isomatten sitzend prosten wir uns zu und nehmen einen tiefen Schluck aus den Rotweinpullen. Ein Fenster tut sich auf, und die Fröhlichkeit und Leichtigkeit kehren zurück. Vergessen ist die Plackerei, mit der aufkommenden Euphorie treten die Blessuren in den Hintergrund. Was für ein Abenteuer – wir spüren beide, dass etwas Besonderes passiert, dass diese außergewöhnlichen Umstände uns in ein Universum katapultieren, das nur uns beiden gehört. Heute Abend sind wir Könige, entfesselt von der Welt, und genießen unser Festmahl.
    Die Gefühlsschwankungen während solch einer Wanderung sind schon krass und gewöhnungsbedürftig. Alle Facetten des emotionalen Spektrums werden berührt, insbesondere die tiefen und hohen Töne. Man spürt, dass man lebt.
    Zwischendurch lege ich mich hin, entspanne meinen Körper und schaue in den sich langsam für die Nacht bereit machenden Himmel.
    Auf dem Weg zum Forsthaus knattert ein Moped. Der Fahrer schaut kurz herüber und verschwindet dann mit seiner uralten Kiste hinter den Bäumen am Haus. Wir sind entdeckt. Vielleicht wohnt da unten ja gar kein Förster, sondern abgehalfterte, chronisch klamme Landfreaks, die Hanf und wurmiges Gemüse anbauen. Was ist, wenn die sich des Nachts im Kiffrausch anschleichen und unsere Kohle wollen. Das Taschenmesser klappe ich jetzt schon mal auf und tarne es und den Pfeffersprayer mit einem Teil meines Anoraks. Was für Gedanken einem so kommen können – ein bisschen mulmig wird mir doch vor der Nacht.
    Die von einer schmalen Wolke bedeckte Sonne senkt sich gegen den Wald, und ihr Strahlenkranz fällt hinterwärts auf die lockeren Wolkenfelder, die den Untergang der Sonne begleiten. Zartrosa schimmern ihre Ränder, manche scheinen von innen heraus zu glühen. Der Himmel über mir ist blauschwarz. Wir kriechen in unsere Schlafsäcke, der Kopf verschwindet in einer Kapuze, es ist kühl geworden. Es sollte die einzige Nacht im Freien werden, in der ich früh einschlafe.
    Aber der Schlaf ist nicht von langer Dauer. Ich wache auf und stelle fest, dass ich halb von der Isomatte gerutscht bin. Außerdem tut mir der Rücken weh, und das Kopfkissen hat sich selbständig gemacht. Mein Wanderbruder schnarcht. Mühsam robbe ich auf die Matte zurück, taste über den taunassen Rasen nach meinem Kissen und versuche eine den Rücken entlastende Schlafstellung zu finden. Auch horche ich angespannt in die Nacht hinein, ob sich da irgendwo in der Nähe etwas bewegt. Aus dem Forsthaus fällt kein Licht, nur der unglaubliche Sternenhimmel mit seiner Milchstraße direkt über mir beleuchtet schemenhaft das Land. So richtig genießen kann ich diesen Anblick nicht. Mich beschäftigt eher die Frage, ob ich mich zum Pinkeln aus meinem Schlafsack pellen soll. Ein unangenehmer Gang ist dies ja bereits zu Hause. Hier aber muss ich über die feuchte Wiese in die kalte Dunkelheit tappen. Es hilft nichts, der Druck ist zu groß. Ich schäle mich aus dem Schlafsack und stapfe auf Socken ein Stück in die Nacht. Weit gehe ich nicht, es ist mir einfach zu unheimlich und außerdem schweinekalt. Meine Socken saugen sich mit Tau voll. Ich stakse zurück und umwickle, so gut ich kann, meine Füße mit dem Fleece. Es dauert eine Weile, bis ich wieder eindämmere. Martin wälzt sich zwischendurch hin und her, auch er kämpft mit der unbequemen Isomatte und mit dem engen Schlafsack.
    Die Nacht bleibt unruhig. Gegen Morgen beginne ich zu frösteln. Zusammengekauert versuche ich, der herankriechenden Kälte zu trotzen.

    Wie ein Embryo kaure ich auf einer feuchten Wiese
Des Nachts in Deutschland und suche den Schlaf.
Steh kurz vor einer Sinneskrise –
Selber schuld, du Schaf!
    schießt es mir durch den Kopf. Na ja, zwei Punkte – stimmt aber! So schön der Abend war, so grenzwertig ist diese Übernachtung.
    Ich bin eingeduselt und werde von Geräuschen wach. Es ist halb sieben in der Frühe. Martin sitzt eingehüllt im Schlafsack und wühlt in seinem Rucksack herum. Das digitale Thermometer auf meiner Wanderuhr neben der Isomatte zeigt zwei Grad plus. Guten Morgen.

E INE

Weitere Kostenlose Bücher