Von den Sternen gekuesst
wurde genau hierfür geschaffen.
E s ist ein Uhr nachts, als wir aufbrechen. Ich bin froh, dass es so spät ist, denn dann werden meine Großeltern meine Abwesenheit gar nicht bemerken. Sofern wir zurück sind, bevor sie aufwachen, werden sie keine Möglichkeit haben, sich Sorgen zu machen.
Die kleinste Ansammlung roter Lichtsäulen ist nur ein Stückchen nördlich von uns, ich sehe drei solcher Strahlen in den Himmel gerichtet. Wir überqueren erst die Pont du Carrousel und betreten dann durch monumentale Torbögen den Platz vor dem Louvre. Dort passieren wir die glitzernde Glaspyramide und verlassen den Platz auf der anderen Seite durch wenn irgend möglich noch monumentalere Torbögen wieder.
Vincent läuft neben mir, wirft aber immer wieder Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass auch niemand den Anschluss verliert. Hinter uns befinden sich fünf Einheiten schwer bewaffneter Revenants. Wir alle bewegen uns auf drei einzelne Numa zu. Weshalb schlägt mein Herz denn bitte so wild?
Schließlich biegen wir in eine schmale Seitengasse ein, dann nicke ich zu einem offenen Eisentor, das rechts von uns in der Häuserwand auftaucht. »Sie sind da drin«, sage ich.
»Da geht es zu einer Passage, die ich ziemlich gut kenne«, sagt Charlotte. »Sie hat ein Glasdach und rechts und links befinden sich unzählige kleine Läden, die jetzt ganz sicher alle geschlossen haben, doch ein Stockwerk höher liegen Apartments.«
»Verstanden«, sagt Vincent und ruft die nächstgelegene Einheit an. »Arthur, die Zielobjekte befinden sich in der Passage du Grand Cerf. Übernimm du die Sicherung des Ausgangs in der Rue St. Denis. Sag den anderen Einheiten, sie sollen die umliegenden Straßen im Auge behalten. Und lass einen Rettungswagen herschicken. Wir rechnen mit drei Leichen.«
»Wir drängen die also einfach in die Enge und töten sie?«, frage ich Vincent, während wir den Tordurchgang ansteuern.
»Kate, das sind Numa. Sie sind Mörder. Außerdem, wenn wir sie nicht töten, töten sie uns.«
Ich nicke und habe trotzdem ein komisches Gefühl dabei.
Alle Schaufenster liegen im Dunkeln, doch hinter ein paar Fenstern im ersten Stock brennt Licht. Kaum nähern wir uns, erlischt das Licht in einem von ihnen und schon sind Schritte auf der Treppe zu hören. Eine Tür in der Mitte der Passage wird aufgestoßen und zwei Männer kommen heraus. Ihre Absätze klappern hohl auf den schwarz-weißen Fliesen.
»Bleib hier.« Vincent winkt mich mit einer Geste rückwärts, während er und die anderen mit großen Schritten vorwärtsschreiten. Dann fällt Licht auf die Gesichter der Numa: Es sind Nicolas und Louis. Violettes Stellvertreter und ihr liebster Gefährte an ein und demselben Ort! , denke ich. Das kann kein unwichtiger Ort sein, auf den wir hier gestoßen sind.
Als ich den jungen Numa erkenne, kann ich nicht anders, ich muss Vincent und den anderen folgen. Kaum bin ich nur noch wenige Meter entfernt, erlöschen die Lichtsäulen und zurück bleiben nur die neblig roten Glorienscheine um ihre Köpfe. Die Bardia werfen keine laserähnlichen goldenen Strahlen in den Himmel , zumindest keine, dich ich sehen könnte , fällt mir auf. Es kann also nur einen Grund dafür geben, als Meisterin diese Fähigkeit zu haben: um Numa zu jagen.
Dann bemerke ich wieder die glänzenden Goldfelder in Louis’ Schein. Es wirkt auf mich, als hätte sich dort ein winziges bisschen Hoffnung als goldenes Licht materialisiert und würde nun darum kämpfen, sich von dem kalten blutroten Schimmer zu lösen. Das erinnert mich an irgendetwas, ich frage mich, wo ich das schon einmal gesehen haben könnte. Und dann fällt es mir wieder ein: im Familienarchiv der Flammenfinger. Da gab es das eine Gemälde mit einem Numa, in dessen Glorienschein ebenfalls Gold schimmerte – er überquerte einen Fluss und wurde von einer Bardia empfangen. In dem Bild ging es also um Erlösung , verstehe ich plötzlich. Louis war so wohlwollend gewesen auf dem Boot und hatte mir beim Lösen der Fesseln geholfen. Und nicht nur damit, er hat mir zur Flucht verholfen, was für einen Numa, Überzeugungskraft hin oder her, unglaublich ist. Die ungewöhnliche Färbung seines Nimbus lässt mich vermuten, dass er so ist wie der Numa auf dem Wandgemälde. War es den Numa möglich, ihr Schicksal zu wenden? Auf die andere Seite zu wechseln? Vincent hatte gesagt, das wäre unmöglich, doch was, wenn er unrecht hatte? Violette hatte schließlich auch die Seiten gewechselt
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