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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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gleichen
Abend verhaftet. Der Vernehmungsbeamte ging geschickt vor. Er erklärte Abbas,
dass Stefanie sich nur prostituiert habe, um ihn zu retten, und las ihm die
Aussage der Freundin vor, der Stefanie alles erzählt hatte. Als Abbas ihr Opfer
verstand, brach er zusammen.
     
    Aber er hatte Erfahrung mit
der Polizei, und er gestand nicht - die Tat ist bis heute unaufgeklärt. Abbas
konnte nicht angeklagt werden, die Beweise reichten dafür nicht.
     
    Melanie Boheim reichte einen
Monat nach Ende des Prozesses die Scheidung ein.
     
    Notwehr
     
    Lenzberger und Beck
schlenderten über den Bahnsteig. Glatzen, Militärhosen, Springerstiefel,
ausladender Gang. Auf Becks Jacke stand »Thor Steinar«, auf Lenzbergers T-Shirt
»Pitbull Germany«.
     
    Beck war etwas kleiner als Lenzberger.
Er war elfmal wegen Gewaltdelikten verurteilt worden. Die erste Körperverletzung
hatte er mit 14 Jahren
begangen, er war mit den Großen mitgelaufen und hatte geholfen, einen
Vietnamesen zusammenzutreten. Danach wurde es schlimmer. Mit fünfzehn war er
das erste Mal in einer Jugendstrafanstalt, mit sechzehn hatte er sich
tätowieren lassen. Auf dem jeweils ersten Glied der vier Finger seiner rechten
Hand standen Buchstaben, die zusammen das Wort »H-A-S-S« ergaben, auf seinem
linken Daumen trug er ein Hakenkreuz.
     
    Lenzberger hatte nur vier
Eintragungen in seinem Strafregister, aber er hatte einen neuen
Baseballschläger aus Me tall. In Berlin werden fünfzehnmal mehr Schläger als Bälle verkauft.
     
    Beck pöbelte eine ältere Dame
an, sie bekam Angst. Er lachte und machte mit erhobenen Armen zwei große
Schritte auf sie zu. Die Dame trippelte schneller, sie hielt ihre Handtasche
umklammert und verschwand.
     
    Lenzberger schlug den
Baseballschläger gegen einen Mülleimer. Das Scheppern hallte durch den
Bahnhof, er brauchte nicht viel Kraft für die Delle im Blech. Der Bahnsteig war
fast leer, der nächste Zug fuhr in 48 Minuten, ein ICE nach Hamburg. Sie setzten sich auf
eine Bank. Beck legte die Füße hoch, Lenzberger hockte sich auf die Lehne. Sie
langweilten sich und warfen die letzte Bierflasche ins Gleisbett. Sie zersprang,
das Etikett wellte sich langsam nach oben.
     
    Dann entdeckten sie ihn. Der
Mann saß zwei Bänke weiter, Mitte vierzig, Halbglatze, Brille mit schwarzem
Kassengestell, grauer Anzug. Ein Buchhalter oder Beamter, dachten sie, ein
Langweiler, auf den zu Hause Frau und Kinder warten. Beck und Lenzberger
grinsten sich an, ein ideales Opfer, einer, der Angst bekommen würde. Die Nacht
war bisher nicht gut gelaufen, keine Frauen, zu wenig Geld für wirklich gute
Sachen. Becks Freundin hatte sich am Freitag von ihm getrennt, sie hatte die
Schreierei und den Alkohol satt gehabt. Das Leben war scheiße an diesem
Montagmorgen - bis sie den Mann entdeckten. Sie steigerten sich in Gewaltphantasien,
hauten sich gegenseitig auf die Schulter und gingen Arm in Arm zu ihm.
    Beck
ließ sich neben dem Mann auf die Bank fallen und rülpste ihm ins Ohr. Es stank
nach Alkohol und Unverdautem. »Na, Alter, heute schon gefickt?«
    Der Mann holte aus seiner
Jacketttasche einen Apfel und polierte ihn mit dem Ärmel.
    »Hey, Arschloch, ich rede mit
dir«, sagte Beck. Er schlug dem Mann den Apfel aus der Hand und zertrat ihn,
das Fruchtfleisch spritzte auf die Springerstiefel.
    Der Mann sah Beck nicht an. Er
blieb sitzen, bewegungslos, die Augen gesenkt. Beck und Lenzberger verstanden
das als Provokation. Beck bohrte seinen Zeigefinger in die Brust des Mannes.
»Oh, da will einer nicht antworten«, sagte er und gab dem Mann eine Ohrfeige.
Die Brille verrutschte, der Mann richtete sie nicht. Weil er sich noch immer nicht
rührte, zog Beck ein Messer aus dem Stiefel. Es war ein langes Messer, die
Spitze war doppelseitig geschliffen, der Rücken gezackt. Er fuchtelte damit
vor dem Gesicht des Mannes herum. Der Mann sah nur geradeaus. Beck stach ein
bisschen in die Hand des Mannes, nicht tief, ein Nadelstich. Er sah den Mann
erwartungsvoll an, ein Tropfen Blut quoll auf den Handrücken. Lenzberger freute
sich auf das, was jetzt kommen würde, und schlug vor Aufregung mit dem
Baseballschläger gegen die Bank. Beck fasste mit einem Finger in den
Blutstropfen und schmierte darin herum. »Na, Arschloch, geht's besser?«
    Der Mann reagierte noch immer
nicht. Beck wurde wütend. Das Messer schnitt durch die Luft, zweimal von
rechts nach links, nur Zentimeter vor der Brust des Mannes. Beim dritten Mal
traf das Messer. Es durchtrennte das

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