Von wegen Liebe (German Edition)
Ton von dir!«, rief sie. »Ganz egal, was du im Moment von mir denkst, ich bin immer noch deine Mutter und verdiene es, dass du mich mit einem Minimum an Respekt behandelst.«
Ich stieß verächtlich die Luft aus. »Ausgerechnet du redest von Respekt? Ausgerechnet du, die Dad die Scheidungspapiere zugeschickt hat, ohne vorher mit ihm darüber zu sprechen? Oder mit mir? Was zur Hölle ist los mit dir, Mom?«
Noch mehr Stille.
Ich wusste, dass wir so nicht weiterkamen. Ich hätte zuhören, mir ihre Sicht der Dinge erklären lassen und ruhig und vernünftig mit ihr über meine Gefühle reden sollen. Ich hatte genügend Folgen von Dr. Phil gesehen, um mir über all das im Klaren zu sein, aber ich wollte nicht. So selbstsüchtig, kindisch und unreif mein Verhalten auch war, alles, woran ich denken konnte, waren das Gesicht meines Vaters, die leeren Bierflaschen, die ich nach seinem Rückfall eingesammelt hatte, und die verdammten Scheidungspapiere. Zuhören? Mir ihre Sicht der Dinge erklären lassen? Ruhig und vernünftig sein? Warum sollte ich. Sie war genauso selbstsüchtig und kindisch wie ich. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie es besser verbergen konnte.
Mom fuhr den Wagen rechts ran, stellte wortlos den Motor ab und atmete tief aus. Ich starrte aus dem Fenster auf ein brach liegendes Maisfeld. Der graue Februarhimmel sagte alles. Kalt. Trostlos. Ein vertaner Tag. Vertane Mühe. Aber ich würde nicht als Erste anfangen zu reden. Ich wollte, dass ausnahmsweise einmal sie die Erwachsene war.
Die Sekunden verstrichen. Das einzige Geräusch im Wagen waren unsere Atemzüge. Manchmal räusperte Mom sich, als wolle sie etwas sagen, schien es sich dann aber jedes Mal wieder anders zu überlegen. Ich wartete.
»Bianca«, sagte sie schließlich. Wir hatten mindestens fünf Minuten geschwiegen. »Ich … Es tut mir leid. Es tut mir unendlich leid.«
Ich sagte nichts.
»Ich wollte nicht, dass es so endet.« Ihre Stimme klang rau, als würde sie mit den Tränen kämpfen, aber ich schaute weiter aus dem Fenster. »Als ich damals so unglücklich war und dein Vater mir nach dem Tod deiner Großmutter vorschlug, für eine Weile zu verreisen, dachte ich, es würde mir helfen. Eine Zeit lang dem Alltag entfliehen, hier und da ein paar Vorträge halten, auf andere Gedanken kommen. Ich glaubte, dass es mir danach besser gehen würde, dass es zwischen deinem Dad und mir wieder so wie in unseren glücklichsten Zeiten werden würde. Aber …«
Ihre langen, schmalen Finger zitterten, als sie sich um meine Hand schlossen. Widerstrebend sah ich sie an. Auf ihren Wangen waren keine Tränen, aber ich konnte ein verdächtiges Glitzern in ihren Augen sehen. Der Damm war noch nicht gebrochen.
»Ich habe mich geirrt«, fuhr sie fort. »Ich dachte, ich könnte vor meinen Problemen davonlaufen, aber da habe ich mich gewaltig geirrt, Bianca. Egal wohin du gehst oder was du tust, um dich abzulenken, irgendwann holt dich die Realität wieder ein. Ich kam nach Hause, und als nach ein paar Tagen die alte Leere zurückkehrte, stürzte ich mich in die nächste Reise. Ich blieb jedes Mal ein bisschen länger weg, suchte mir immer weiter entfernte Ziele … bis ich auf der anderen Seite des Landes angekommen war und merkte, dass es nicht weiter weg ging. Dass ich mich endlich den Tatsachen stellen musste.«
»Welchen Tatsachen?«
»Dass ich nicht mehr mit deinem Vater zusammen sein kann.« Sie blickte auf unsere miteinander verschränkten Hände hinunter. »Ich liebe deinen Vater sehr, aber nicht so, wie er mich liebt, sondern wie einen guten Freund. Ich weiß, das klingt wie aus einem schlechten Film, aber genau so ist es. Ich kann nicht weiter lügen und so tun, als wäre alles okay mit uns. Es tut mir leid.«
»Du willst dich also wirklich scheiden lassen?«
»Ja.«
Ich seufzte und schaute wieder aus dem Fenster. Immer noch grau. Immer noch kalt.
»Du musst es Dad sagen«, sagte ich. »Er hält das Ganze für ein Missverständnis. Er glaubt nicht, dass du … dass du uns so etwas je antun könntest.«
»Hasst du mich?«
»Nein.«
Die Antwort überraschte mich nicht wirklich, auch wenn sie mir eher so rausgerutscht war. Ich wollte sie hassen. Nicht unbedingt dafür, dass sie sich scheiden lassen wollte; sie war in den letzten Jahren so selten zu Hause gewesen, dass mir die Vorstellung, nur noch mit meinem Vater zusammenzuleben, keine Angst machte. Dad und ich waren mittlerweile ein eingespieltes Team. Und ehrlich gesagt rechnete ich
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