Voodoo Holmes Romane (German Edition)
Hellsichtigkeit, zum Erkenntnisgewinn während seiner Arbeit benutzt. Wenigen bekannt aber ist sein Faible für Konstantinopels Opiumhöhlen. Böse Zungen behaupten, der Orientexpress sei zu keinem anderen Zweck eingerichtet worden, als besonderen Naturen wie Sherlock zu erlauben, möglichst rasch und bequem die hektische Betriebsamkeit der Londoner City mit der Trägheit und dem Laster Vorderasiens zu vertauschen, und daran stimmt, daß diese Städte so etwas wie die Pole sind, zwischen denen das Leben aller europäischen Menschen oszilliert. Das nordwestlich Verkrampfte lässt von Paris, das noch etwas von London hat, über Wien, das die exakte Mitte zwischen beiden Extremen einnimmt, immer stärker nach und erreicht in Budapest, so Sherlocks jüngerer Bruder, einen Idealzustand, bevor es in östlicheren Regionen zur völligen Erschlaffung führt. Sherlock fährt bis ans Ende dieser Welt, Voodoo aber steigt schon in Budapest aus. In den Bädern und Massagesalons dieser Stadt findet er, so Voodoo, seine Mitte, ohne sich, wie er es ausdrückt, „abtöten“ oder „verleugnen“ zu müssen. Er genießt alle Vorteile der k.u.k. Monarchie – darunter zählt er die Kaffeehauskultur mit ihren internationalen Zeitungen, aber auch den ausgezeichneten Stand der symphonischen Musik, die den Großteil der Orchester im britischen Empire bei Weitem übertrifft – und kann sich dabei der Weinseligkeit dieser Gegend und dem südlichen Laissez-faire hingeben, am Liebsten unter den Händen kräftiger, vollfleischiger junger ungarischer Masseusen. Während sich sein älterer Bruder in Istanbul, wie Konstantinopel neuerdings heißt, von Düften und Dämpfen umwölkt in einen Drogenschlaf versetzen lässt, den die schrillen Blasinstrumente und Schlagwerkzeuge der dortigen Gegend kaum durchdringen, sucht Voodoo on holiday keine Betäubung, sondern etwas, das er die „kontrollierte Intoxikation“ nennt, zum Beispiel den Ausritt auf einem feurigen Araber in berauschender Natur, inklusive eine Flasche besten Rotweins intus. „Und danach dann zu einem Brahms-Klavierabend und im Vorzimmer sitzen bleiben bei einer Zigarre und mit einer Tasse besten italienischen Espressos, Watson“, schwärmt er mir vor, „das ist der höchste Genuss! Der Rest der Trunkenheit sitzt noch in den Gliedern, dazu die gesteigerte Durchblutung der gesamten Körpermuskulatur mit der Erinnerung an die Muskelkraft des Hengstes, die man im straffen Galopp bezwungen hat. Und nun kommt dazu dieses Schweben, einerseits von Tabak, andererseits von Koffein, und darauf setzt sich die himmlischste Musik, die jemals geschrieben wurde – Brahms, Watson, Brahms!“
In diesem Jahr sollte ich erstmals, wie mir Sherlock mitteilte, mit Voodoo aussteigen. Mein Freund brauchte absolute, strenge Einsamkeit, wie er mir sagte. Ich konnte das angesichts der Aufregungen des vergangenen Jahres gut verstehen. Und ehrlich gesagt: Ich freute mich darauf, den Zug schon in Budapest zu verlassen. Diese lustige ungarische Zimbalmusik und das Schluchzen der Geigen behagt mir weit mehr als das arabische Gedudel, und die drallen Mädchen der Puszta in den Massagesalons mit ihren lachenden Augen und schönen Händen übertreffen doch die dunklen Jungs Konstantinopels um ein Weites. Und wie entsetzlich war es doch immer in Istanbul, den Kindern, die einem dauernd nachlaufen, der schrillen Musik, dem ewigen Jammern der Muezzins in ihren Türmen, und dem Gestank dieser Stadt! Ich hatte mich in all den Jahren nur meinem Freund zu Gefallen dort aufgehalten und dabei kaum das Hotel verlassen. Also freute ich mich, wie gesagt, auf das Ansinnen, mich dem
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