Voodoo Holmes Romane (German Edition)
jüngeren Bruder anzuschließen, der mich auch bereitwillig mitnahm. Und doch hatte ich von Anfang an ein merkwürdiges Gefühl in diesem Sommer. Vielleicht plagte mich das schlechte Gewissen, Sherlock im Stich gelassen zu haben, denn ich fühlte wohl, daß es ihm schlecht ging, daß er ausgelaugt und orientierungslos war. Zwar schickte er mich weg, doch würde sich ein wirklicher Freund so wegschicken lassen? Und dann mochte da schon eine Vorahnung bestehen, daß ich in wenigen Tagen einen Mordanschlag erleiden würde. Das Geheimnis aber dabei ist die Tatsache, daß ich mich die ganze Zeit seitdem wir in Hampton Palace gewesen waren, mit der Rose beschäftigt hatte. Zuerst unterschwellig. Nachdem ich aber nur knapp dem Tode entgangen war, ließ mich dieser Gedanke überhaupt nicht mehr los. Ich zitterte am ganzen Leib, wenn ich daran dachte, daß die Haut meines Halses von allen Seiten mit Dornen gespickt gewesen war. Eine weitere Assoziation: Die Dornenkrone Jesu. Wie verkommen mußte man sein, einen zum Tode Verurteilten mit abgeblühten, vertrockneten Blumen der Liebe zu krönen, die der Welt nur mehr ihre Stacheln zu bieten hatten? Ich kann nicht sagen, was es war, das mich dabei quälte. Ich lag tagelang im Halbdunkel oder im Dunkel, je nach Tageszeit, und wartete darauf, bis meine Wunden und die Kratzspuren auf Gesicht und Hals verheilt waren und versäumte so den schönen Urlaub, den Holmes währenddessen, wenn er nicht an meinem Krankenlager weilte, mit vollen Zügen genoss. Die äußeren Verletzungen aber waren gering im Vergleich zu der innerlichen Erschütterung, die ich erfahren hatte. Dabei dachte ich unablässig an diese einsame Frau in England, die sich mit den großen, harten Dornen eines Vasenschmucks ins Schattenreich verabschiedet hatte. Ich dachte an meine wenig galante Bemerkung bezüglich ihres Äußeren. Ich schämte mich dafür und ich glaubte, vor meinem inneren Auge immer wieder ihre Gesichtszüge auftauchen zu sehen, die bleiche, stumme Miene einer Toten, mit einem Blitzen kalter Augen zwischen halb geschlossenen Lidern. Dazu trug auch der Dauerregen bei nach unserer Ankunft, der uns an fremde Hotelbetten fesselte. In all diesen Tagen war es dunkler, als man es im Herbst gewohnt ist. Dauernd hatte man das Gefühl, das Licht einschalten zu müssen, aber wenn man es dann tat, brannte das Gas in einer ganz trüben Funzel. Einmal schlief ich ein und mir träumte von der Marienstatue, die neben dem Bett stand. Im Traum war sie größer und es schien, als bewege sie sich. Da öffnete sie den Mund und dabei schien es, als quellten Dornen hervor. Beim näheren Hinsehen aber waren es Haifischzähne, und die Statue lachte.
Vielleicht hatte es mit dem Vasensturz oder mit diesem Traum zu tun, aber von diesem Tag an hatte ich den Eindruck, daß diese Blume uns geradewegs zu verfolgen schien. Die Vasen und Beete quollen über von dieser Blume. Überall in der Stadt stieß man auf Rosengärten, Rosenausstellungen, und selbst, wenn man einen gewöhnlichen Salat bestellte, war dieser mit Rosenblättern garniert. Man feierte in dieser Zeit in Budapest das Rosenfest, wie ich später erfuhr. Wenn das aber so war, warum hatte die Rose auch bei der letzten Ermittlung meines Freundes Sherlock eine tragende Rolle gespielt? Konnte es solche Zufälle geben? Anfangs hatte ich davon, daß man sich in Budapest als Touristenattraktion mit dieser Pflanze beschäftigte, keine Ahnung und betrachtete es mit großem Misstrauen und wachsender Sorge, daß uns im „Varazdin“, einem renommierten Hotel am Stadtrand von Budapest, ein mit Heilquellen und Römischen Bädern garnierten Barockbau im Zuckerbäckerstil, jeden Morgen eine Rose auf den Tisch
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