Voodoo Holmes Romane (German Edition)
Lateinisch abgefasst und in einer Schrift, die für mich klar unleserlich war, Frau Quengelein aber, die helläugige Bibliothekarin, las sie mühelos vor: „Am 11. Tag des Monats, den man den Nebelung nennt, geriet der Zug der verurteilten Ketzer in der Lugbank in einen Hinterhalt, der von Anhängern des Oswaldus Weber gelegt worden war. Diesem gelang es, seine Fesseln abzustreifen, doch er wurde im Gemenge getötet. Einer Gefangenen aber gelang es, durch ein Tor zu entweichen und den Häschern zu entwischen. Die übrigen Verurteilten wurden eingefangen und im geordneten Zug zum Richtplatz gebracht, wo sie ihr Geschick fromm und im Einklang mit Gott annahmen. Geschrieben im Jahre des Herren 1541.“
„ Um welche Person es sich hier handelte, ist das nicht weiter erwähnt?“ fragte Holmes.
Ein verächtliches Lachen umspielte die Lippen der Bibliothekarin: „Angesichts der Epoche ist es unwahrscheinlich, das man den Namen einer Frau besonders vermerkt hätte“, meinte sie, „es sei denn, es hätte sich um eine Heilige gehandelt. Aber was ist das: heilig?“ Mit diesen Worten spuckte sie aus – in einen Spucknapf, der wie ich nun erst bemerkte, zu diesem Zweck auf ihrem Tisch stand und in dem grünliche Schlieren in farbloser schaumiger Flüssigkeit schwammen. Nun wusste ich auch, warum sie zwischendurch züngelte: Es war ihre Angewohnheit, Auswurf zu sammeln. Welcher Auswurf das war? Er konnte harmlos sein, aber schon der unangenehme Geruch wirkte als Andeutung darauf, daß auch sie vom Gift der Tuberkulose befallen sein konnte. Auch der fiebrige Blick ihrer Augen schien ein Hinweis darauf. Holmes schien die Ähnlichkeit zwischen der Befindlichkeit dieser älteren Dame und jener unseres Gastgebers ebenfalls bemerkt zu haben, denn er sprach mit ihr äußerst rücksichtsvoll wie mit einem bösartigen Kind.
Während ich Frau Quengelein bei ihrem Tun betrachtete, sprang mir ein Fleck auf ihrer Wange ins Auge. Es war ein Gekräusel von Adern, ein Blutschwamm, wie man das gerne nennt. Es schien mir aber fast, daß es sich hier um eine rote Tätowierung handelte, so klar und in den Umrissen formschön schien es sich um eine Rose zu handeln, die die Natur gezeichnet hatte, und das in Form eines Tumors. Ich stieß Holmes an, um ihn auf meine Entdeckung hinzuweisen, doch er nickte nur und fragte stattdessen: „Wäre es möglich, gnädige Frau, daß diese Verurteilte mit jenem Oswaldus Weber in Verbindung stand? Wer war dieser Mann eigentlich?“
„ Der Stadtkämmerer. Man hat ihm Hexerei vorgeworfen, und unter peinlicher Befragung hat er auch gestanden, aber das hat damals jeder. Wir können heute nicht mehr sagen, warum er als Hexer verfolgt wurde. Vielleicht war er Okkultist, oder Heiler. Vielleicht war er ein Ehebrecher, oder wollte seine Schulden nicht bezahlen. Wissen Sie, das kam schon vor, daß einer auf einem Haufen Geld hockte und man konnte ihn nur dadurch, daß man ihn als Hexer hinrichtete, zur Begleichung seiner Rechnungen zwingen, nämlich aus der Erbmasse heraus.“
Wieder spuckte sie aus. Die Rose auf ihrer Wange zuckte dabei. War das nun ein Zeichen oder Zufall? War das eine Krankheit oder sollte uns dieser Blutschwamm etwas sagen? Ich hatte das unangenehme Gefühl, den Verstand zu verlieren.
„ Aber es müsste doch eine Akte geben, in der die entsprungene Hexe erwähnt wird“, warf Holmes dazwischen.
„ Es gab drei Hexen. Allen wurde Wettermacherei vorgeworfen. In dem Sommer hatte Hagel die Ernte zerstört. Eine davon wird sie gewesen sein. Sie hatten christliche Namen wie Maria, Anna und Annemarie. Wie sie wirklich hießen, hat keiner festgehalten. Wissen Sie, das waren alles Scheinanklagen." Ein verächtliches Lächeln umspielte die
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