Voodoo Holmes Romane (German Edition)
verstehe, eine Verkettung von Zufällen“, sagte Holmes, „Nr. 1: Die Bedienstete, die heimlich in der Nacht im Prunkornat spazieren geht und sich dabei einen Wunsch erfüllt, den Traum, Kaiserin zu sein für eine Nacht. Nr. 2: Die Strafe des Himmels in Gestalt eines Mannes, der von Schuld beladen ist, die Kaiserin physisch entehrt zu haben, ein Ehebrecher und Halunke, der geblendet von Gottlosigkeit und Wahn das himmlische Strafgericht als Exekutionsinstrument herbeiführt und dabei zum Mörder wird. Nr. 3: Die fromme Seele mit der Rose, die dem Geschehen eine übernatürliche Aura verleiht: Vergebung des Himmels, Schonung der Kaiserin, die in effigie, quasi als Wachsfigur gemeuchelt wird als Warnung und Aufforderung des großen und einzigen Gottes zur Reue und Einkehr, als dringender Appell des Schirmherrn der österreichisch-ungarischen Monarchie an Elisabeth, ihre Sendung als Mutter der Völker zu erfüllen, anstatt in der Weltgeschichte herum zu strawanzen, und das mit der Rose vor dem Rosenhaus, diesem Symbol der Liebe, der Unschuld, der Schönheit, die einer Herrscherin von Gottes Gnaden eignet. Und nun eine weitere Verkettung von Symbolik: all dies geschieht dort, wo die Antipoden göttlicher Damenhaftigkeit zur Schlachtbank geführt werden, die Hexen, als Hinweis darauf, daß Sissi der Absturz droht von der Erhabenheit ihrer Rolle an der Seite des Kaisers zur Gesellschaftshure, die sich im Dreck suhlt wie Abschaum und zur Hexe mutiert, ein Fanal, ersatzweise exekutiert an ihrem Dienstmädchen. Großartig, Watson, eine mythologisch-kriminologische Tour de Force, die Sie da abgezogen haben. Ich gratuliere Ihnen aus ganzem Herzen.“
„ Aber auch für diese These fehlt jeder Beweis“, gab ich zu. Er nickte. Wir wandten uns nach links und traten in die Karolinenstrasse. Es stand dort ein Gebäude, das man das Bibrahaus nannte. Über seinem Portal prangte eine Statue der Immaculata, der unbefleckten Empfängnis, also Maria, die Mutter Gottes. Rechts und links vom Portal waren Statuen von Ceres und Flora zu sehen, römischen Naturgöttinnen, deren Bedeutung, wie mich Holmes informierte, der von Maria gleichzusetzen waren. In beiden Fällen handelte es sich um Symbole der Frau schlechthin, nämlich der Gebärerin und Ernährerin, jedoch der unschuldigen Frau, die wie die Erdkrume jeden Samen, der in sie fällt, annimmt und daraus Leben schöpft.
„ Das gibt schon zu denken“, sagte er, „denn es geht in der ganzen Geschichte doch um die Rose, und wir haben hier ein anderes Konzept, nicht wahr? Wieder geht es um die Frau, diesmal aber nicht um die Zauberin oder Verführerin, sondern um die Frau als Basis der Gesellschaft, als sozialer Kitt, als jenes Wesen, das den Lauf der Welt in Schwung hält. Nun aber beachten Sie, was wir hier oben für Zeichen haben, Watson“, forderte er mich auf, und wies auf das Schild über dem Portal. Dort war ein Tier in Stuck abgebildet, das man zweifellos als Biber identifizieren konnte. Rechts davon sah man drei Muscheln.
„ Muscheln sind doch Jakobszeichen, oder?“ meinte ich, „vom heiligen Jakob dem Älteren, der in Santiago di Compostela begraben liegt?“
„ In der Tat.“
„ Im Mittelalter konnte ein Wallfahrer“, setzte ich fort, „wenn er es bis in den fernsten westlichsten Winkel Spaniens geschafft hatte, die völlige Absolution erlangen, so die Weisung des Papstes. Nachdem Jerusalem und die heiligen Stätten der Christenheit unzugänglich geworden waren, stand Santiago als Ersatz für das Heiligste ein. Selbst ein Mörder erfuhr dort völligen Schulerlass, so er denn bereute.“
„ Großartig, Watson. Unser Gastgeber erzählte mir, daß durch Bamberg einst einer der
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