Voodoo Holmes Romane (German Edition)
13:27 Uhr das Hotel in Richtung Innenstadt verließ in einem reschen Dirndl und ohne Begleitung, was mit verwunderte. Freilich kannte sie hier jeder, aber wenn sie dergestalt im gesuchten Inkognito durch die Gassen schwebte, bemühte man sich, nicht allzu angestrengt auf sie zu starren oder gar den Kopf zu wenden, schließlich kannte man sie ja, und die Hysterie, die sie andernorts hervorzurufen pflegte, war auf Staatsbesuche beschränkt, bei denen sie im vollen Ornat auftrat und dabei tatsächlich wie etwas Besonderes wirkte. Nur die Journaille zu täuschen war ihr gelungen, die kam von auswärts und war nicht darauf gefasst, die Kaiserin quasi als einheimische Bürgersfrau zu erleben, ein Stilbruch, den sie gedanklich nicht verarbeiten konnten. Und die ganz Naiven unter ihnen erwarteten natürlich, daß sie mit einem Krönlein auf dem Haupt zum Friseur oder Einkaufen gehen mußte, denn so was markierte ja gekrönte Häupter. Wir folgten der Kaiserin unauffällig ins Cafe Graupner, wo in einem Hinterzimmer längst ein Tischchen für sie gedeckt war, und sie rührte dort ungestört in ihrer Tasse Kaffee und sah Zeitungen durch, als wir in den Raum traten, auf die erschreckte Abwehr der Kellnerin gar nicht eingehend, die uns den Raum verwehren wollte. Holmes nahm den Hut ab und sagte: „Gnädige Frau, mein Name ist Holmes, und ich bin gekommen, um Sie zu warnen.“
Nach diesen Worten blieb es im Raum ein Weile ruhig, und ich hatte Veranlassung, die Dame, die uns gegenüber saß und uns etwas ratlos anschaute, eingehend zu mustern. Ich hatte diesem Augenblick schon entgegengefiebert und merkte nun, dass mein Herz vor Erregung heftig zu schlagen anfing.
„ Sherlock Holmes?“ fragte sie zurück. Ihre Stimme war neugierig und glockenhell.
„ Gewissermaßen“, sagte Holmes, ohne bei der Lüge die Miene zu verziehen.
„ Interessant. Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Holmes. Und der Herr an Ihrer Seite wäre demnach Ihr getreuer Gefährte, Dr. Watson?“
Aus nächster Nähe war die Kaiserin eine der schönsten Menschen, die ich jemals gesehen habe. Mittelgroß und schlank, fast drahtig, schien der Körper jugendlich, obwohl sie gewiss nicht mehr jung war, mit feinen, niedlichen Fältchen um Augen und Mund. Ihre Hände, ihre Fesseln, ihre Ohren, ihre Nase, all das war wohlgeformt, ihr wichtigstes Kapital aber waren Augen und Mund. Wie sie die Lippen kräuselte, wenn sie sprach, war allerliebst. Und ihr Blick: Hochmütig, dann wieder scheu, klar blickend und dann wieder umwölkt von einer unbekannten Emotion, einem unsäglichen Schmerz, einer trüben Erinnerung, als gingen Wolken über eine Landschaft, es war berauschend! Ja, sie war eine Göttin, und sie sprach mit einer Stimme, die mich sofort gefangen nahm, die mich fesselte, von der mir die Haut von oben nach unten warm wurde und empfindsam.
Holmes nickte, um sogleich fortzufahren: „Gnädige Frau, ich scheue mich, darauf Bezug zu nehmen, daß Sie sich hier inkognito aufhalten, und ich empfinde keine Freude dabei, in die wenigen Mußestunden einzudringen, die Ihnen verbleiben“, bekannte er mit einer Stimme, die erkennen ließ, daß die Reize der Dame auch ihn nicht unberührt ließen. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie quasi seine zweite Landesmutter war, sofern wir die Geschichte, die er damals Professor Beckstein im Zug erzählte, ernst nehmen wollen. Und doch sagte er einfach "Gnädige Frau", was sogleich einen sachlichen Ton in die Angelegenheit brachte und zugleich ihr Inkognito wahrte. „Morgen ist der 11. November“, fuhr Holmes fort, „ein besonderer Tag, der im vergangenen Jahr ein großes Unglück zur Folge hatte. Ich bin gekommen, um in diesem Jahr ein weit größeres Unglück zu
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