Voodoo Holmes Romane (German Edition)
endete, in dem in der Folge zahlreiche junge Menschen, vor allem Künstler einzogen und dabei auch ungeschoren blieben. Jetzt frage ich Sie: Wenn es sich bei der Präparatorin um eine junge Frau gehandelt hätte, die wir durch unsere schauerliche Tat dem Erstickungstod auslieferten, wäre nicht binnen weniger Tage auch bei ihr ein Fäulnisprozess zu registrieren gewesen? Man kann einwenden, daß die Luftarmut und Keimarmut im Sarkophag den Zerfall ihres Körpers verzögerten, und vielleicht hatte sie sich auch mehrmals täglich vor ihrem Tod mit Seife die Haut bakterienfrei geschrubbt im Sauberkeitswahn, den ich bei dergleichen Damen so häufig beobachten durfte. Die Bakterien des Darms aber bleiben auch bei der saubersten Leiche da. Hätte es sich also um keine Mumie gehandelt, hätten sie den Darm bald gebläht wie bei einer Schwangeren, und wären durchgebrochen.
Es ist ja ein merkwürdiges Schicksal, das unseren Körper einmal in Millionen und Abermillionen Einzeller verwandelt, die dann mangels weiterer Nahrung zerfallen in Nichts. Erst sind wir Einzelne, dann Einzeller, dann Staub. Irgendwann einmal, wenn ich längst diesen Weg gegangen bin, wird wahrscheinlich auch die Tierpräparatorin ihre ewige Jugend verlieren und Stockflecken entwickeln und man wird ihre Haut konservieren und bepinseln müssen zur Freude zukünftiger Generationen von Museumsbesuchern. Um sie aber überhaupt sehen zu können, müsste es gelingen, den Deckel des Sarkophags zu lüften. Dann würde man wissen, ob überhaupt ein Mensch darunter sein Ende gefunden hatte – oder eine Mumie.
Damals aber, als wir mit Lord Cumberton-Shoyle und seiner zweiten Gemahlin in einem bequemen Abteil gegen Schottland schaukelten, konnte ich noch nicht wissen, daß sich der Ruf des jungen Holmes, den er seither bei Scotland Yard genießt, auf die Beendigung der Mordserie in der Essex Road stützen würde. Ich erinnerte mich damals eher der Worte meines Freundes Sherlock, der mich gebeten hatte, seinen missratenen Bruder vor weiteren Abenteuern zu bewahren, und ich fühlte mich schuldig und als ein Versager, da es mir nicht gelungen war, die Tierpräparatorin vor ihrem Schicksal zu bewahren.
Ich kam mir vor wie ein Verbrecher auf der Flucht, während der Zug durch die Landschaft pflügte und ich in einem Buch blätterte, das ich als Reiselektüre vor unserer Abfahrt in der Tottenham Court Road erstanden hatte. Es war die kommentierten und übersetzten Ausgabe einer alten Erzählung, der Geschichte von „Beowulf“, eines nordischen Kriegers aus dem 6. Jahrhundert nach Christus, niedergeschrieben im 9. Jahrhundert in altenglischer Sprache.
Je mehr ich in dem Buch las, desto stärker wurde ich in die Geschichte hineingezogen. Es ging auch hier um ein Schloss am Meer. Es gehörte Hrodgar und lag in Dänemark. Eine große Halle, der Metsaal, ging auf einen Balkon, über den das Ungeheuer Grendel, das nachts mit dem Nebelmoor aufstieg, eindrang und jede Nacht dreißig Recken raubte, und das zwölf Jahre lang, also insgesamt etwa 130.000 Mann. In der Geschichte hieß es: „Er erbrach die Tür der Halle, zerriss den Nächstliegenden, zerbiss sein Gebein, trank sein Blut und verschlang große Stücke des Fleisches, nur Hände und Füße ließ er übrig.“
Konnte es sich bei dieser Geschichte, diesem uralten Mythos, nicht um eine Parallele zu den Vorfällen auf Tyne handeln, die dafür vielleicht sogar die Vorlage hergegeben hatte? Dieser Grendel war in einer ersten Übersetzung ein Flugtier. Beowulf hieß ein junger Held, der Grendel, als er ihn im Schlaf überraschen wollte, mit bloßen Händen erwürgte, ihm seinen Hand abriss und als Trophäe an die Decke des Metsaals heftete. Das
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