Voodoo Holmes Romane (German Edition)
wieder mit neuer Gewalt erheben wird?"
"Das ist unzweifelhaft wahr, Watson", gab er zurück. "Das Böse stirbt nie, ebenso wie das Gute. Der heutige Tag bedeutet für diese Stadt das Ende der Rosenherrschaft. Einige Überbleibsel werden bleiben, eine Gaststätte, die den Titel trägt, oder ein Garten, in dem Rosen angepflanzt werden, eine historische Schicht unter vielen. Es ist das wie mit den Jahresringen eines Baums. Und doch ist es unsere Aufgabe, das Böse dort, wo es mit Kraft heranwächst, auszurotten."
"Und das Merkwürdige daran", fügte ich mit einem Blick auf die Menschen an den Nebentischen hinzu, "ist die Tatsache, dass dieser Kampf von der Mehrheit der Menschen gar nicht beachtet wird."
Obwohl die körperlichen Kräfte vom Genuß des Bieres und der Wurst langsam wiederkehrten, hatte mich neuerlich eine große Mutlosigkeit befallen, die ich eine spirituelle Leere nennen möchte. Warum ist es so, daß die Menschen nicht wahrnehmen, was um sie herum passiert, daß sie die Zeichen und Wunder, die Tag für Tag geschehen, nicht einmal registrieren? Wie kann es sein, daß ein Großteil der Menschen glaubt, ruhig im gleichmäßigen Strom des Lebens zu schwimmen von Feier zu Feier, von Jahr zu Jahr, beschützt vom Ring des Jahreskreises, während sie wie Biber ihre Dämme der Sicherheit errichten und dabei Geld aufstauen, während sie nach schönen Frauen die Hälse verrenken, die wie Schwäne ihre Schönheit spazieren führen, während sie sich einmauern wie Muscheln in Panzer der Fühllosigkeit? Während ich den Henkel des Bieres umklammerte, das man kommentarlos vor mich hingestellt hatte, sah ich mich verstohlen im Raum um. Ein Blick in die Runde. Übergewichtige, die sich langweilen. Paare, die gegenseitiges Verständnis mimen, um den Zeitpunkt hinauszuschieben, zu dem es kracht. Einsame, für die der Alkohol Ersatz dafür ist, daß sie die Rose fallengelassen hat und ein Grund dafür, daß Alkoholiker lieber Rotwein saufen als Weißwein. Dazwischen aber immer wieder hoffnungsvolle, attraktive Naturen beiderlei Geschlechts, die um Menschen buhlen, sie wollen Anerkennung, Sicherheit und die Macht, die dazu notwendig ist, diese Menschen zerstören zu dürfen. Wenigstens schmeckte das Bier, von dem es in diesen Breiten Hunderte von Sorten gibt, wahrscheinlich 347, 348 verschiedene Sorten davon.
Es war ein apokalyptischer Abend. Der Beginn der Karnevalszeit wurde allerorten mit Fahnen und Trompeten, Raketen und Fackeln begangen, und wir wussten, während wir durch das Gewühl unsere Koffer schleppten, bald nicht mehr, ob wir einer ausgelassenen Feier oder einem Weltuntergang beiwohnten. Die Antwort wurde uns kurze Zeit später gegeben, als wir am Bahnhof auf unseren Zug warteten. Es hatte zu Schneien begonnen, ein günstiger Umstand für die Stadt, die zu diesem Zeitpunkt längst in Rauch und Nebel gehüllt war. Anfangs glaubte man deshalb auch, die Flocken seien kleine verkohlte Papierfetzen und anderes Rauchwerk, das aus einem Brand hochgeschleudert wird, um bald wie Regen wieder zu landen. Aber tatsächlich merkte man bald, daß es dicke Schneeflocken waren. Es schneite bald so intensiv, daß es uns wunderte, draußen zwischen den Geleisen eine Frauengestalt zu sehen. Sie ging wie das Wartende eben so tun, langsam und mit wohlgesetzten Schritten, als wolle sie Distanzen ausmessen. Ihr Pelzmantel war so prächtig, daß man schon aus dieser Entfernung schließen konnte, es handle sich entweder um eine Dame aus dem Hochadel oder die Freundin eines Großindustriellen. Sie hatte sich von ihren Begleitern, ältere und jüngere Frauen, die alle schwarze, schmucklose Kleider trugen, und offenbar wie Arbeitsbienen, die ihrer Königin zu Diensten
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