Voodoo Holmes Romane (German Edition)
ungläubig. Wir standen einander gegenüber, und das stetige Wippen unseres Gastgebers auf seinen Schuhsohlen versetzte das Parkett in ein Knacken und Knirschen, das sich bis in die Tiefe des Saales fortpflanzte.
„ Sie sind mit dem Humor unserer Familie natürlich nicht vertraut“, meinte er, „aber ja, natürlich ist es möglich.“
„ Ich gebe Ihnen zu, daß dieses ganze Schloss eine Inszenierung sein kann, Lord Cumberton“, stammelte ich, „ja, durchaus, schon wenn Sie bedenken, daß Balkone wie jene Meeresbalkone da oben unten im Wohntrakt eigentlich erst sehr späte Kreationen sein können und vom Baustil eher in unser Jahrhundert passen. Aber würde sich dergleichen Fälschung nicht herumgesprochen haben, hätten Sie nicht davon einmal erfahren?“
„ Bitte von wem?“ erwiderte er. „Von meinen Dienstboten? Von den Leuten im Dorf? Die sind doch genauso verrückt wie ich.“
Er war ein gut aussehender Mann mit feingeschnittenen Gesichtszügen, aber seine Augen blickten verwirrt, während er geistesabwesend im Humidor kramte, um sich eine Zigarre hervorzuziehen, und er tat mir fast leid, als er hinzufügte: „Wir haben alle unsere Geschichten. Schon deshalb habe ich Sie gebeten, mir hierher zu folgen. Ich glaube, Sie sind resistent gegen den Einfluss. Es ist eine Epidemie, wissen Sie? Wer im Epidemiegebiet lebt, ist davon so infiziert, daß er von der Krankheit selbst nichts mehr weiß.“
Ich war betroffen, als er das sagte, denn es erinnerte mich an die Worte, die Sherlock gesprochen hatte, als es noch um das Haus in der Essex Road ging. Ich schaute zu Holmes hin, um zu ergründen, ob ihm die Dimension des Falles, in den wir verwickelt waren, aufgegangen war. Er stand auf der Spiegelseite der Bibliothek, die sich aus glänzenden Flächen und langen Regalreihen unzähliger Bücher zusammensetzte, und war damit beschäftigt, Posen einzunehmen und seine Wirkung in den verschiedensten Spiegelungen zu überprüfen. Nebenbei blätterte er in Folianten, wobei ich nicht hätte sagen können, ob er die nun zur Kräftigung seiner Armmuskulatur heruntergenommen hatte, oder um aus ihnen etwas zu erfahren. Ich hätte nicht gedacht, daß er gedanklich an unserem Gespräch teilgenommen hatte. Deshalb überraschte es mich, als er fragte: „Wenn Sie Epidemie sagen, meinen Sie dann die Vögel oder die Wolkengebilde?“
„ Beides sind sicherlich Manifestationen uralter Wahnbilder. Aber wenn sie auch von Menschen gesehen werden können, die von auswärts kommen, was sind sie dann? Realität?“
„ Sehen Sie da einen Zusammenhang zwischen den Wolkengebilden und wirklichen Personen, etwa Ihren Vorfahren?“ fragte Holmes weiter.
Cumberton-Shoyle zögerte, während er in einen Sessel versank und nachdenklich an seiner Zigarre sog. „Durchaus möglich. Sehen Sie, im Grunde genommen sind die Wolkenphänomene letztendlich die einzige Konstante durch alle Zeiten. Man findet sie schon in den Aufzeichnungen irischer Mönche, die um 900 die Gegend besiedelten. Auf den Fundamenten ihres Klosters, das im Jahre 1112 aus unklaren Gründen nieder brannte, errichtete mein Ahnherr Tyne, wobei am Südtor auch noch die Apsis der romanischen Kirche erhalten blieb. Schon die Mönchen kannten die Wolkenformationen, von denen wir auch heute noch heimgesucht werden, den Dreispitz, den sie allerdings das „Kruzifix“ nannten. Sie beschrieben den „Martinsmantel“, den „Reiter der Apokalypse“ und die „Jungfrau Maria“. Sie erkennen die Parallelen. Merkwürdigerweise blieb ihnen die „Silberbuche“ fremd, jenes windgezauste Baumwölkchen, das im 16. Jahrhundert erstmals beschrieben wurde und offenbar
Weitere Kostenlose Bücher