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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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falsch.«
    »Ich glaube gar nichts. Aber manchmal können Menschen, die uns nahestehen, sehr geschickt verbergen, wie sie sich wirklich fühlen.«
    Linda starrte beharrlich ihren Vater an. Er warf ihr einen hastigen Blick zu. Wir müssen über diese Sache reden, dachte sie. Es ist falsch von mir, ihm nicht von damals zu erzählen, als ich auf dem Brückengeländer stand und schwankte. Er glaubt, das einzige Mal sei gewesen, als ich mir in die Arme geschnitten habe.
    »Sie würde sich nie etwas antun. Aus einem ganz einfachen Grund. Sie würde ihre Enkelkinder nie einem solchen Schock aussetzen.«
    »Es gibt niemanden, den sie besucht haben könnte?«
    Vanja hatte sich eine Zigarette angezündet. Sie ließ Asche auf ihre Kleidung und auf den Fußboden fallen. Linda dachte, daß sie überhaupt nicht in die Wohnung ihrer Mutter paßte.
    »Meine Mutter ist altmodisch. Sie macht keine Besuche, die nicht geplant sind.«
    »Soweit ich mitbekommen habe, ist sie nicht in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Es dürfte also kein Unglück geschehen sein. Aber leidet sie an einer Krankheit? Hat sie kein Mobiltelefon?«
    »Mama ist gesund. Sie lebt gesund und einfach. Nicht wie ich. Aber als Eierverkäuferin bewegt man sich nicht genug.«
    Vanja machte eine Geste mit ausgebreiteten Armen, wie um ihren Ekel vor ihrem eigenen Körper zum Ausdruck zu bringen.
    »Und das Mobiltelefon?«
    »Sie hat eins. Aber es ist nie eingeschaltet. Obwohl meine Schwester und ich sie bekniet haben.«
    Es wurde still im Zimmer. Aus einer Wohnung nebenan war das leise Geräusch eines Radios oder Fernsehers zu hören.
    »Und Sie haben keine Ahnung, wohin sie gegangen sein könnte? Gibt es jemanden, der weiß, womit sie gerade beschäftigt ist? Hat sie Tagebuch geführt?«
    »Meines Wissens nicht. Mama hat allein gearbeitet.«
    »Ist so etwas hier früher schon einmal vorgekommen?«
    »Daß sie verschwunden ist? Nie.«
    Lindas Vater holte einen Notizblock und einen Bleistift aus der Jackentasche und ließ sich Vanjas vollen Namen, die Anschrift und die Telefonnummer geben. Linda merkte, daß er stutzte, als sie ihren Nachnamen sagte, Jorner. Er hielt inne und schaute auf den Block, bevor er den Blick hob. »Ihre Mutter heißt Medberg. Sind Sie eine verheiratete Jorner?«
    »Mein Mann ist Hans Jorner. Mamas Mädchenname war Lundgren. Ist das wirklich wichtig?«
    »Hans Jorner. Ist er möglicherweise ein Sohn des alten Direktors der Kiesgesellschaft in Limhamn?«
    »Ja. Der jüngste Sohn. Wieso?«
    »Reine Neugier. Sonst nichts.«
    Wallander stand auf, Linda folgte ihm. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns umsehen? Hat Ihre Mutter ein Arbeitszimmer?«
    Vanja zeigte auf das Zimmer, bevor sie einen Anfall von dröhnendem Raucherhusten bekam. Sie betraten ein Arbeitszimmer, dessen Wände von Landkarten bedeckt waren. Auf dem Schreibtisch lagen ordentliche Stapel von Papieren und Mappen.
    »Was war denn?« fragte Linda leise. »Mit dem Namen?«
    »Das erzähle ich dir nachher. Es ist eine unangenehme Geschichte. Sie ruft alte Erinnerungen wach.«
    »Was hat sie gesagt? Eierverkäuferin?«
    »Ja. Aber ihre Sorge ist echt.«
    Linda hob ein paar Papiere vom Schreibtisch auf.
    Sofort wies er sie zurecht. »Du darfst dabeisein, du darfst zuhören und zusehen. Aber nichts anfassen.«
    »Ich habe doch nur ein Blatt Papier angefaßt.«
    »Das war eins zuviel.«
    Linda verließ wütend das Zimmer. Natürlich hatte er recht. Aber trotzdem mochte sie seinen Ton nicht. Sie nickte Vanja, die immer noch hustete, kurz zu und ging hinunter auf die Straße. Als sie hinaustrat in den starken Wind, verfluchte sie ihre kindische Reaktion bereits.
    Zehn Minuten später kam ihr Vater aus der Haustür. »Was war los? Was habe ich falsch gemacht?«
    »Nichts. Ist schon vergessen.«
    Linda hob die Arme in einer entschuldigenden Geste. Er schloß den Wagen auf. Der Wind zerrte und rüttelte. Sie setzten sich in den Wagen.
    Er steckte den Schlüssel ins Zündschloß, startete aber nicht. »Du hast gemerkt, daß ich gestutzt habe, als diese schreckliche Frau sagte, sie hieße Jorner. Und daß sie mit einem Sohn des alten Jorner verheiratet ist, hat es auch nicht besser gemacht.«
    Er knurrte etwas vor sich hin und schloß die Hände krampfhaft ums Lenkrad. Dann erzählte er.
    »Als Kristina und ich klein waren und mein Vater seine Bilder malte, kam es ja manchmal vor, daß keine Hausierer in ihren Amischlitten vorbeikamen und ihm abkauften, was er produziert hatte. Wir hatten kein

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