Vor dem Frost
noch unvermindert, die Hitze stand still. Sie parkte vor dem Haus, das sie schon am Vormittag besucht hatte, wappnete sich gegen eine erneute Begegnung mit dem Schachspieler und ging durchs Tor.
Aber als die Tür aufgemacht wurde, stand eine Frau da. Sie war ein paar Jahre jünger als Linda, hatte feuerrotes Haar mit blauen Schleifen, und von einem Nasenloch zum Ohr führte eine Kette. Sie trug schwarze Sachen aus einem Material, das wie eine Kombination aus Plastik und Leder wirkte. An einem Fuß trug sie einen schwarzen Schuh, am anderen einen weißen. »Wir haben kein Zimmer frei«, sagte sie gereizt. »Wenn beim Studentenwerk ein Anschlag hängt, ist er falsch. Wer hat gesagt, wir hätten Zimmer frei?«
»Niemand. Ich suche Anna Westin. Ich bin eine Freundin von ihr. Ich heiße Linda.«
»Ich glaube nicht, daß sie da ist. Aber du kannst ja selbst nachsehen.«
Sie trat zur Seite und ließ Linda herein, die rasch einen Blick ins Wohnzimmer warf. Das Schachspiel war noch da. Aber der Spieler nicht.
»Ich war vor ein paar Stunden hier«, sagte Linda. »Aber da habe ich mit einem geredet, der Schach spielt.«
»Du kannst doch reden, mit wem du willst«, erwiderte die Frau abweisend.
»Bist du Margareta Olsson?«
»Das ist mein Künstlername.«
Linda verschlug es die Sprache.
Margareta sah sie belustigt an. »Eigentlich heiße ich Johanna von Lööf. Aber ich ziehe einen gewöhnlichen Namen vor. Also habe ich mich umbenannt in Margareta Olsson. In diesem Land gibt es nur eine Johanna von Lööf. Aber tausende Margareta Olssons. Ich meine, wer will schon allein sein?«
»Nein, wer will das schon. Habe ich richtig gehört, daß du Jura studierst?«
»Falsch. Betriebswirtschaft.«
Margareta zeigte auf die Küche. »Willst du nicht nachsehen, ob sie da ist?«
»Du weißt, daß sie nicht hier ist. Richtig?«
»Klar weiß ich es. Aber ich hindere niemanden daran, die Wirklichkeit mit eigenen Augen zu kontrollieren.«
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Ich habe Zeit en masse. Du etwa nicht?«
Sie setzten sich in die Küche. Margareta trank Tee. Aber sie machte sich nicht die Mühe zu fragen, ob Linda auch einen wollte.
»Betriebswirtschaft. Das hört sich schwer an.«
»Es ist schwer. Das Leben soll schwer sein. Aber ich habe einen Plan. Willst du ihn hören?«
»Gern.«
»Wenn es sich angeberisch anhört, als ob ich hochnäsig wäre, dann ist das vollkommen richtig. Keiner glaubt, daß eine Tussi mit Ketten in der Nase einen Sinn für Geschäfte hat. Schon damit habe ich ziemlich viele getäuscht. Aber mein Plan sieht folgendermaßen aus: Ich studiere fünf Jahre Betriebswirtschaft. Dann praktiziere ich bei ein paar ausländischen Banken und Maklerfirmen. Zwei Jahre, nicht länger. Da habe ich natürlich die Ketten abgenommen. Aber ich habe sie nur zur Seite gelegt. Wenn ich für mich selbst anfange, lege ich sie wieder an. Vielleicht feiere ich meinen Studienabschluß damit, daß ich mir ein paar neue Löcher in meinen Körper machen lasse? Ich rechne damit, daß es sieben Jahre dauert. In der Zeit will ich mir ein Kapital von ein paar Millionen angelegt haben.«
»Ist Johanna von Lööf reich?«
»Ihr Vater hat im selben Jahr, in dem Johanna geboren wurde, durch Spekulationen ein Sägewerk an der Norrlandsküste verloren. Danach war alles hauptsächlich Mist. Kein Geld, Dreizimmerwohnung in Trelleborg, mein Alter eine Art Hafenaufseher. Aber ich habe meine Aktien. Ich kenne den Markt, gehe rein und lege die Gewinne zurück. Es reicht, vorm Fernseher zu sitzen und zuzuhören, Teletext, die Börsenbewegungen, dann weiß man, wann die Lage günstig ist.«
»Ich dachte, Fernsehen hätte mit
Sehen
zu tun?«
»Man muß ebenso aufmerksam sehen, wie man zuhört. Sonst findet man nicht die günstigen Momente, die man sucht, um zuzuschlagen. Ich bin ein schwarzgekleideter und frecher Hecht, der im Schilfdickicht lauert und hart zuschlägt, wenn die Beute auftaucht. Es wird sieben plus drei, zehn Jahre dauern, ein Vermögen aufzubauen. Dann hat das Studium sich gelohnt. Wenn ich Schluß mache, bin ich zweiunddreißig. Und danach werde ich mein ganzes Leben nicht mehr arbeiten.«
»Und was willst du dann tun?«
»Nach Schottland ziehen und Sonnenaufgänge und -untergänge ansehen.«
Linda war sich nicht sicher, ob Margareta sie zum Narren hielt. Die junge Frau schien ihre Gedanken zu lesen. »Du glaubst mir nicht? Deine Sache. Wir können uns in zehn Jahren hier treffen und sehen, ob ich recht hatte oder
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