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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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übrigen Kleidungsstücke. Die Einsicht kam aus ihrem Bauch, nicht aus dem Kopf. Anna hatte auch so einen Rock. Aber war der nicht im Kleiderschrank, als sie dort nachgesehen hatte? Plötzlich war sie unsicher. Sie richtete sich auf. Heftige Übelkeit überkam sie. Konnte es Annas Rock sein, der an der Vogelscheuche hing? Sie konnte nur noch einen Gedanken weiter denken. Wenn es Annas Rock war, mußte das bedeuten, daß Anna tot war.
    Sie lief zur Kirche und zum Auto zurück und fuhr in einem Tempo, das jeder Geschwindigkeitsbegrenzung spottete, nach Ystad. Sie parkte nachlässig vor Annas Haus und lief in die Wohnung hinauf. Ich glaube nicht an Gott, dachte sie. Ich bete auch nicht. Aber, lieber Gott, mach, daß der Rock im Kleiderschrank hängt. Sie riß die Türen auf. Der Rock war nicht da. Sie wühlte zwischen den Kleidern, zerrte Teile heraus. Kein rostbrauner Rock. Sie merkte, daß sie vor Angst zitterte. Die Angst war wie Kälte. Sie lief ins Badezimmer und kippte den Wäschekorb aus. Kein Rock. Dann sah sie ihn. Er lag im Wäschetrockner zwischen anderen Kleidungsstücken. Ihre Erleichterung war so groß, daß sie sich auf den Fußboden setzte und sie laut aus sich herausschrie.
    Hinterher sah sie ihr Gesicht im Badezimmerspiegel und beschloß, daß es jetzt reichte. Sie durfte sich nicht weiter einbilden, daß Anna etwas zugestoßen war. Statt mit Annas Auto in der Gegend herumzufahren, würde sie mit Zebra reden. Irgendwo gab es jemanden, der wußte, wo Anna sich befand.
    Sie ging auf die Straße hinunter. Sollte sie ihre sinnlose Nachforschung nicht trotz allem damit abschließen, daß sie den Immobilienmakler in Skurup aufsuchte? Ohne sich eigentlich entschieden zu haben, setzte sie sich ins Auto und fuhr nach Westen.
    Der Makler hieß Ture Magnusson und verhandelte gerade mit einem deutschen Pensionärspaar über ein Haus in Trunnerup. Linda setzte sich und blätterte in einer Mappe mit Hausangeboten, während sie wartete. Sie konnte hören, daß Ture Magnusson sehr schlecht Deutsch sprach. Seinen Namen hatte sie an der Wand unter seinem Foto gesehen. Es gab offenbar zwei Angestellte, doch nur Ture Magnusson war anwesend. Sie blätterte in der Mappe, war entsetzt über die Preise und fragte sich, was aus ihrem alten Traum geworden war, aufs Land zu ziehen und ein paar Pferde zu halten. Bis zum Ende ihrer Teenagerjahre war das eines ihrer Lebensziele gewesen. Aber dann war der Traum auf einmal verschwunden. Jetzt fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, auf einem Hof draußen im Lehm zu wohnen, wenn der Herbst in den Winter überging und der Schnee über die Ebene trieb. Irgendwo unterwegs habe ich mich, ohne es zu bemerken, in einen Stadtmenschen verwandelt, dachte sie. Das kleine Ystad ist nur eine Station auf dem Weg zu einer größeren Stadt. Vielleicht Malmö, vielleicht Göteborg. Vielleicht sogar Stockholm.
    Ture Magnusson stand auf und kam zu ihr herüber. Er lächelte freundlich. »Die beiden müssen sich noch einmal miteinander besprechen«, sagte er und stellte sich vor. »So etwas pflegt zu dauern. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    Linda erklärte ihr Anliegen, diesmal ohne Polizistin zu spielen.
    Ture Magnusson begann zu nicken, bevor sie geendet hatte. Er schien sich an die Transaktion zu erinnern, ohne seine Unterlagen zu Rate zu ziehen. »Das Haus hinter der Kirche in Lestarp wurde von einem Norweger gekauft. Ein angenehmer Mann, entschlußfreudig. Er war das, was ich einen idealen Kunden nennen würde. Barzahlung, keine lange Bedenkzeit, kein Hin und Her.«
    »Wie kann ich Kontakt zu ihm aufnehmen? Das Haus interessiert mich.«
    Ture Magnusson musterte sie eingehend. Sein Stuhl knackte, als er sich nach hinten abstieß und gegen die Wand lehnte. »Ehrlich gesagt, hat er für das Haus zu viel bezahlt. Das dürfte ich natürlich nicht sagen. Aber ich kann auf der Stelle drei Häuser nennen, die bedeutend besser in Schuß sind, eine schönere Umgebung haben und weniger kosten.«
    »Aber dies ist das Haus, auf das ich es abgesehen habe. Ich möchte diesen Norweger zumindest fragen, ob er verkaufen will.«
    »Natürlich können Sie das. Torgeir Langaas war sein Name.«
    Den letzten Satz sang Ture Magnusson. Linda merkte, daß er eine schöne Stimme hatte. Er stand auf und verschwand in einem angrenzenden Raum. Als er zurückkam, hatte er eine aufgeschlagene Mappe in der Hand. »Torgeir Langaas«, las er. »Er schreibt seinen Nachnamen mit drei a. Geboren in einem Ort namens B^rum, dreiundvierzig

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