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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Scheibe, Skeetah machte Hausaufgaben, und ich betrachtete die vielen anderen Häuser auf anderen einsamen Feldern; die Wohnmobile, die langen, niedrigen Ziegelbauten, die kleinen Holzhütten, die zusammengezimmert aussahen und nicht mehr als zwei Räume haben konnten. Und alle Kinder, die wir einsammelten, waren weiß: breitschultrige, dicke Jungs mit drahtigen Haaren auf der Oberlippe und kleine Mädchen mit roten Wangen und wasserblauen Augen, deren Gesichter ganz rau geschrubbt waren. Ich frage mich, ob sie wohl auch ihre Skeetahs und Eschs haben, die an den Rändern ihrer Wiesen herumkrabbeln wie die Ameisen unter den Dielen, die im Gänsemarsch zu dem Zucker laufen, der offen im Schrank steht.
    Das Haus ist aus allen Blickwinkeln reizlos: Das Weiß ist von der Sonne vergilbt, und alle Fenster sind mit weißen Vorhängen verschlossen. Es ist ein blindes Haus mit geschlossenen Augen. Auf der Vorderseite hat es eine erhöhte Betonterrasse mit ein paar hellblau gestrichenen Schaukelstühlen darauf, in dem hellen Blauton, den ich bei den Eidechsen gesehen habe, die bei uns in den Mauerritzen leben. Die Scheune ist ungestrichen und hoch, die Türen sind zu. Das Holz ist alt und dunkel, wie das Holz, das Papa Joseph verwendet hat, um Mother Lizbeths Haus zu bauen.
    Es sieht ganz ähnlich aus, so als wären alle Wände so alt, dass sie sich jeden Moment an den Kanten voneinander lösen könnten.
    »Schsch«, haucht Skeetah, und ich weiß nicht, ob er mir bedeuten will, still zu sein, oder ob er meinen Namen ruft. Aber er steht reglos da, deshalb bleibe ich hinter ihm stehen. Er zeigt auf etwas. Da, in der Mulde, von der aus wir das Haus und die Scheune zum ersten Mal gesehen haben, zwischen den Bäumen in der Mulde, durch die man zum Pit gelangt – da ist jemand.
    Skeetah bewegt sich mit gekrümmtem Rücken, die Finger immer auf dem Boden, während wir von Schatten zu Schatten flitzen. Wir umarmen die Bäume. Erst als wir auf der Seite liegen und über einen roten Erdhügel linsen, sehe ich Sachen, die mir bekannt vorkommen, wie das gummibandartige Schlackern eines Arms, ein vorsichtiges Schaukeln von Gliedern. Randall und Big Henry. Und dann ein Pfeifen. Junior.
    »Wem sein Haus ist das denn?«
    »Das von weißen Leuten, Junior«, antwortet Randall.
    »Bist du sicher, dass sie hierhergelaufen sind?«, fragt Big Henry.
    »Als ich und Junior über den Graben in den Hof gesprungen sind, haben wir sie in diese Richtung rennen sehen. Schnell.«
    »Woher willst du wissen, dass sie hierher wollten?«
    »Weiß ich nicht«, sagte Randall leise. »Aber sonst is hier hinten nichts, und zum Jagen sind sie nicht genug. Wenn wir sie finden, wollen sie bestimmt mitspielen.«
    »Ich will mal da hin und die Kühe angucken«, sagt Junior und springt immer wieder hoch, um auf Randalls Augenhöhe zu kommen. Er schafft es bis zu seiner Brust. »Bitte.«
    »Nein«, sagt Randall. »Du kannst sie von hier aus angucken.«
    Ich stemme mich am Hügel hoch und will hingehen. Skeetah packt mich am Arm und hält mich mitten im Aufstehen zurück; es tut fast weh, wie er an meiner Schulter zerrt. Er schüttelt denKopf, und ich verstehe nicht, was in seinem Gesicht geschrieben steht. Er zeigt auf den Boden, versucht, mich wieder neben sich zu ziehen, damit ich ihnen nicht verrate, wo wir sind und was wir vorhaben.
    »Sie können uns helfen«, flüstere ich. »Mehr Augen.«
    Er hält immer noch mein Handgelenk fest, zieht es dicht zu sich heran, als wäre es ein Seil, als könne er mich bei Fuß kommandieren. Ich entwinde ihm meine Hand, und sie entgleitet ihm wie ein nasser Fisch.
    »Doch«, sage ich und gehe los. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als mir zu folgen, daher schaue ich mich nicht einmal um. Ich höre ein Rascheln und das nasse Knacken der Kiefernnadeln, und da weiß ich, dass er hinterherkommt.
    Randall, der alle Antennen ausgefahren hat, um zu hören, was andere nicht hören, und zu sehen, was andere nicht sehen, hört uns als erster.
    »Dacht ich’s mir doch, dass ihr hier seid.«
    »Jepp«, sage ich.
    »Wieso seid ihr so schnell gerannt?«, fragt Randall. Big Henry hat sich an einen Baum gelehnt, sodass er in der Luft sitzt und der Stamm seine Lehne ist.
    »Weiß ich nicht«, sage ich.
    Hinter mir spricht Skeetah.
    »Ihr müsst Junior nach Hause bringen.«
    »Wieso darf er nicht hier sein?«
    »Ich muss was besorgen.« Skeetah verschränkt die Arme.
    »Von wo?«, fragt Randall. Und dann schaut er Skeetah an, und sein Kopf nickt, und

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