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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Vergnügungsyachten üblich ist. Über
    dem Hackbord wehte keine Flagge; nur am Topp des Groß-
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    masts flatterte ein leichter roter Wimpel noch ein wenig im
    abflauenden Ostwind.
    Graf d’Artigas und Kapitän Spade nahmen in dem Boot
    Platz. Vier Ruder hatten sie innerhalb weniger Minuten zur
    Goélette befördert, die sie von der Leiter an der Seite aus
    bestiegen.
    Graf d’Artigas zog sich in seine Kabine unter dem Hin-
    terdeck zurück, während sich der Kapitän nach dem Vor-
    derdeck begab, um seine letzten Befehle zu erteilen.
    Nah am Bug angelangt, beugte er sich über die Schanz-
    kleidung des Steuerbords hinaus und suchte nach einem
    Gegenstand, der in einer Entfernung von wenigen Faden
    im Wasser schaukelte.
    Es war eine Bake von geringer Größe, die von der Ebbe-
    strömung in der Neuze bewegt wurde.
    Jetzt kam langsam die Nacht. Am linken Ufer des viel-
    fach gewundenen Flusses begann die unbestimmte Silhou-
    ette von New Berne allmählich zu verschmelzen; die Häuser
    hoben sich dunkel vom Horizont ab, den vom Rand einer
    Wolkenbank im Westen noch ein roter Feuerstreif erhellte.
    An der entgegengesetzten Seite verhüllte sich der Himmel
    mit dichtem Dunst. Ein Regenfall schien jedoch kaum be-
    vorzustehen, denn der Dunst hielt sich am Himmel in be-
    trächtlicher Höhe.
    Gegen 7 Uhr blinkten in den verschiedenen Höhenlagen
    der Häuser von New Berne die ersten Lichter auf, während
    die aus den niedrigen Stadtteilen sich in langen Zickzack-
    linien kaum unter der Wasseroberfläche widerspiegelten,
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    da der Wind sich gegen Abend mehr und mehr legte. Sanft
    glitten die Fischerbarken stromauf nach Einschnitten am
    Ufer, wobei die einen mit ihren aufgezogenen Segeln noch
    den letzten Lufthauch zu nutzen suchten und die anderen
    von Riemen bewegt wurden, deren kurzer, rhythmischer
    Schlag weithin über das Wasser tönte. Auch zwei Damp-
    fer zogen vorüber, aus deren doppelten, mit schwärzlichem
    Rauch gekrönten Schornsteinen Funkengarben emporwir-
    belten, während die Schaufeln ihrer Räder mächtig ins Was-
    ser einschlugen und sich der Schwengel der Maschine, fau-
    chend wie ein Seeungeheuer, über dem Spardeck auf und
    ab bewegte.
    Um 8 Uhr erschien Graf d’Artigas wieder auf Deck der
    Goélette, jetzt aber begleitet von einem etwa 50jährigen
    Mann.
    »Es ist nun Zeit, Serkö«, redete er diesen an.
    »Ich werde Spade benachrichtigen«, antwortete Serkö.
    Der Kapitän kam heran.
    »Mach dich zur Abfahrt fertig«, sagte Graf d’Artigas zu
    ihm.
    »Wir sind bereit.«
    »Nimm dich aber in acht, daß niemand in Healthful
    House etwas bemerkt und den Verdacht schöpft, daß Tho-
    mas Roch und sein Pfleger an Bord der ›Ebba‹ geschafft
    worden sei.«
    »Wo man sie auch beim eifrigsten Nachforschen nicht
    finden würde!« fügte Serkö hinzu.
    Verschmitzt lächelnd zuckte er dabei mit den Schultern.
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    »Immerhin ist es besser, überhaupt keinen Verdacht auf-
    kommen zu lassen«, erwiderte Graf d’Artigas.
    Das Boot wurde klargemacht. Der Kapitän und fünf
    Mann stiegen hinein. Vier der Männer ergriffen die Riemen.
    Der fünfte, der Obersteuermann Effrondat, der das Boot
    lotsen sollte, setzte sich ans Steuer neben Kapitän Spade.
    »Glück auf den Weg, Spade«, rief Serkö lachend, »und
    erledige alles hübsch ruhig, wie ein Liebender, der seine
    Schöne entführt . . .«
    »Ja, falls nicht jener Gaydon . . .«, meinte Effrondat.
    »Nun, das versteht sich«, erwiderte Kapitän Spade.
    Das Boot stieß ab und die Matrosen blickten ihm nach,
    bis es in der Dunkelheit verschwand.
    Wir fügen hier ein, daß die ›Ebba‹, während sie auf die
    Rückkehr des Bootes wartete, keinerlei Vorbereitungen zur
    Abfahrt traf. Jedenfalls wollte sie den Ankerplatz von New
    Berne auch nach der Entführung nicht sofort verlassen.
    Übrigens hätte sie jetzt gar nicht aufs hohe Meer gelangen
    können. Man fühlte nicht den leisesten Lufthauch mehr,
    und vor Ablauf einer halben Stunde mußte sich die Flut bis
    auf einige Seemeilen die Neuze stromaufwärts bemerkbar
    machen. Die Goélette stellte sich auch noch nicht senkrecht
    über ihre Anker.
    2 Kabellängen vom Ufer festgelegt, hätte sich die ›Ebba‹
    bei 15 bis 20 Fuß Wassertiefe ihm noch mehr nähern kön-
    nen, was das Anbordschaffen nach der Rückkehr des Boo-
    tes beschleunigt hätte. Wenn sie dieses Manöver nicht aus-
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    führte, geschah es, weil Graf d’Artigas seine Gründe hatte,
    es nicht zu

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