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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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zerbeulter Blechkessel, der aus Tülle und Deckel aufgeregt Dampfstrahlen in die Luft blies.
    »Ich gehe Gladys wecken«, sagte ich, und als Dogger den Tee in zwei wohltuend schmuddelige Tassen goss, zog ich mein treues Fahrrad aus der Ecke, in der es seinen Winterschlaf hielt. Dogger hatte Gladys gründlich geschmiert und geölt und zum Schutz noch einen ausrangierten Sack darüberdrapiert.
    »Du siehst ja richtig fit aus«, scherzte ich. Gladys war ein BSA Keep-Fit und hatte früher Harriet gehört.
    »Ziemlich fit«, sagte Dogger. »Trotz des Winterschlafs.«
    Ich stellte Gladys neben uns auf den Seitenständer und klingelte ein paarmal mit ihrer Klingel. Es war schön, mitten im Winter ihre fröhliche Stimme zu hören.
    So saßen wir eine ganze Weile in kameradschaftlichem Schweigen da, bis ich schließlich sagte: »Sie sieht wirklich sehr gut aus, findest du nicht auch? Ich meine, für ihr Alter.«
    »Sprichst du von Gladys? Oder von Miss Wyvern?«
    »Ähm, von beiden natürlich, aber jetzt gerade meinte ich Miss Wyvern«, sagte ich, erfreut darüber, dass Dogger meinen Gedankensprung mitgemacht hatte. »Glaubst du, Vater heiratet sie?«
    Dogger trank einen großen Schluck Tee, stellte die Tasse ab und nahm einen Mistelzweig in die Hand. Er hielt ihn am Stängel, als wollte er ihn wiegen, dann legte er ihn wieder hin.
    »Nicht, wenn er das nicht will.«
    »Ich dachte, wir schmücken das Haus dieses Jahr nicht«, sagte ich. »Der Regisseur will nicht alles wieder abnehmen, wenn sie mit dem Filmen anfangen.«
    »Miss Wyvern hat anders entschieden. Sie hat mich gebeten, für ihre Darbietung am Samstag einen Weihnachtsbaum von angemessener Größe in der Halle aufzustellen.«
    Ich sah ihn verdutzt an.
    »Der Baum soll aussehen wie die Bäume in ihrer Kindheit. Ihre Eltern haben immer einen Baum aufgestellt.«
    »Will sie auch Stechpalmen haben? Und Mistelzweige?«
    »Na klar doch, drei Säcke voll.« Dogger grinste.
    Ich schlang die Arme um mich, aber nicht nur der Kälte wegen. Doggers Scherze, auch die harmlosesten, waren einfach herzerwärmend – und vielleicht machten sie mich auch übermütig.
    »Deine Eltern auch?«, fragte ich. »Haben die auch einen Baum aufgestellt? Mit Misteln und Stechpalmen und allem Drum und Dran?«
    Dogger antwortete nicht gleich. Ein Schatten huschte über sein Gesicht.
    »In der Ecke von Indien, wo ich aufgewachsen bin«, sagte er schließlich, »waren Misteln und Stechpalmen nicht leicht zu bekommen. Ich glaube, ich habe einmal zu Weihnachten einen Mangobaum geschmückt.«
    »Einen Mangobaum! Indien! Ich wusste überhaupt nicht, dass du in Indien gelebt hast!«
    Dogger schwieg sehr lange.
    »Aber das ist schon ewig her«, sagte er schließlich, als erwachte er aus einem Traum. »Du weißt ja, Miss Flavia, mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es mal war.«
    »Macht nichts, Dogger.« Ich tätschelte ihm die Hand. »Meins auch nicht. Erst gestern hatte ich einen Fingerhut voll Arsen in der Hand und habe ihn irgendwo hingestellt. Und jetzt komme ich einfach nicht mehr drauf, was ich damit gemacht habe.«
    »Ich hab ihn in der Butterdose entdeckt«, sagte Dogger. »Und habe mir erlaubt, ihn für die Mäuse in die Remise zu stellen.«
    »Mitsamt der Butter?«
    »Mitsamt der Butter.«
    »Aber ohne die Dose.«
    »Ohne die Dose.«
    Warum gibt es eigentlich nicht mehr Menschen wie Dogger auf der Welt?
     
    Ich befolgte Vaters Anweisung, den Leuten nicht im Weg herumzustehen, und verbrachte den Rest des Tages in meinem Labor, wo ich letzte Vorkehrungen für die Herstellung meines Supervogelleims traf. Wenn ich die richtige Menge Petroleum hinzugab, würde er nicht mal gefrieren.
    Bis zum Weihnachtsabend waren es nur noch vierundzwanzig Stunden; bis dahin musste ich fertig sein. Ich durfte mir keine Fehler erlauben. Ich hatte nur diese eine Gelegenheit, den Weihnachtsmann zu fangen – falls es ihn denn gab.
    Warum misstraute ich den Märchen und Legenden meiner Schwestern eigentlich? Lag es etwa daran, dass mich die Erfahrung gelehrt hatte, dass die beiden schamlose Lügnerinnen waren? Oder eher daran, dass ich im Grunde meines Herzens gern an den Weihnachtsmann glauben wollte, weil ich nicht auf ihn verzichten wollte?
    Aber ob nun Weihnachtsmann oder kein Weihnachtsmann, schon bald würde ich das Große Experiment in meinem Notizheft festhalten: Ziel, Hypothese, Methode, Resultate, Diskussion, Konklusion.
    So oder so, es würde unweigerlich ein Klassiker werden.
    In einem von Onkel

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