Vorkosigan 15 Ein friedlicher Angriffsplan
durch die Tür taumelte. Verstärkung! Roic war reizend gekleidet: Stiefel, Unterhosen und ein Halfter mit einem Betäuber verkehrt herum. »Was zum Teufel…«, begann er, doch er wurde unterbrochen, als eine letzte unglückliche Salve aus den eigenen Reihen, ungezielt abgeschickt von Martya, auf seiner Brust barst.
»Oh, tut mir Leid!«, rief sie mit um den Mund
gewölbten Händen.
»Was zum Teufel ist hier unten los?«, brüllte Roic und suchte mit von Käferbutter schlüpfrigen Händen auf der falschen Seite seines Halfters nach dem Betäuber. »Ihr habt mich aufgeweckt! Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass mich heute Morgen jemand aufweckt! Ich bin gerade erst eingeschlafen. Ich habe geschworen, dass ich den nächsten Mistkerl umbringe, der mich aufweckt…!«
Kareen und Martya hielten einen Moment inne, um die
Größe, die Schulterbreite, die dröhnende Bassstimme und die großzügige Portion athletischer junger Männlichkeit, die Roic darstellte, rein ästhetisch zu würdigen; Martya seufzte. Die Escobaraner hatten natürlich keine Ahnung, wer dieser riesige nackte schreiende Barbar war, der jetzt zwischen ihnen und dem einzigen Ausgang, den sie kannten, auftauchte. Sie zogen sich einige Schritte zurück.
»Roic«, schrie Kareen eindringlich, »sie versuchen
Enrique zu entführen!«
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»So? Gut.« Roic blickte sie mit kleinen Augen
verschlafen an. »Dann sorgen Sie dafür, dass sie auch alle seine Teufelskäfer mit ihm mitnehmen…«
Gustioz versuchte in seiner Panik an Roic vorbei zur Tür zu stürzen, doch stattdessen prallte er mit dem Gefolgsmann zusammen. Beide rutschten in der Käferbutter aus und gingen in einem Wirbel hochoffizieller Dokumente zu Boden. Roics antrainierte, wenn auch an Schlafmangel leidenden Reflexe schalteten sich ein, und er versuchte seinen zufälligen Angreifer an den Boden zu nageln, was nicht leicht war, da beide jetzt mit einem natürlichen Gleitmittel eingeschmiert waren. Der treue Muno trotzte, gekauert kriechend, einer weiteren Salve von Käferbutterfässchen und langte erneut nach Enrique. Er erreichte einen wild fuchtelnden Arm, der versuchte, ihn wegzuschlagen. Beide glitten aus und fielen auf dem tückischen Boden hin. Doch Muno bekam Enrique an einem Fußknöchel gut zu fassen und begann ihn den
Korridor entlang zurückzuziehen.
»Sie können uns nicht aufhalten!«, keuchte Gustioz, der halb unter Roic lag. »Ich habe einen gültigen Haftbefehl!«
»Mister, ich will Sie gar nicht aufhalten!«, schrie Roic.
Kareen und Martya hechteten vor, packten Enrique an
den Armen und zogen in die andere Richtung. Da niemand Bodenhaftung hatte, war der Kampf eine Weile unentschieden. Kareen riskierte es, einen Arm loszulassen, sie hüpfte um Enrique herum und platzierte einen gut gezielten Fußtritt gegen Munos Handgelenk; der Escobaraner heulte auf und zuckte zurück. Die beiden
Frauen und der Wissenschaftler krochen übereinander und
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zurück durch die Labortür. Martya warf die Tür zu und sperrte sie ab, kurz bevor Munos Schulter von der anderen Seite her dagegenknallte.
»Die KomKonsole!«, keuchte sie über die Schulter
hinweg ihrer Schwester zu. »Ruf Lord Mark an! Ruf
irgendjemanden an!«
Kareen wischte sich mit den Fingerknöcheln Käferbutter aus den Augen, stürzte sich auf den Stuhl vor der KomKonsole und tippte Marks persönlichen Code ein.
Miles drehte den Kopf herum und beobachtete –
hoffnungslos außer Hörweite –, wie Ivan in der vordersten Reihe der Galerie eintraf und rücksichtslos einen glücklosen Fähnrich von seinem Platz vertrieb. Der jüngere Offizier, an Rang und Gewicht Ivan unterlegen, gab widerstrebend seinen Vorzugsplatz auf und suchte sich einen Stehplatz im Hintergrund. Ivan setzte sich neben Professora Vorthys. Es folgte ein leise geführtes Gespräch mit ihr und Ekaterin; aus Ivans überschwänglichen Gesten und seinem selbstgefälligen Grinsen schloss Miles, dass er den Damen einen Bericht über seine heroischen Abenteuer während der letzten Nacht zuteil werden ließ.
Verdammt, wenn ich dort gewesen wäre, dann hätte ich LordDono genauso gut retten können… Oder vielleicht auch nicht.
Miles hatte Ekaterins Bruder Hugo und Vassily
Vorsoisson, die sie auf der anderen Seite flankierten, von ihrer kurzen Begegnung bei Tiens Totenfeier her erkannt.
Waren sie in die Stadt gekommen, um Ekaterin erneut
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wegen Nikki zuzusetzen? Jetzt, wo sie Ivan lauschten, wirkten sie völlig verblüfft.
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