Vorkosigan 17 Diplomatische Verwicklungen
folgte eine kurze Pause, in der Quaddie-Bühnenarbeiter einige geheimnisvolle Pfähle und in seltsamen Winkeln darin steckende Stangen um das Innere der Kugel arrangierten. Granat Fünf, die von Miles aus gesehen seitlich schwebte, murmelte über die Schulter: »Jetzt kommt das Stück, das ich für gewöhnlich tanze. Es ist ein Auszug aus einem größeren Werk, Aljeans klassisches Ballett Die Überquerung. Es erzählt die Geschichte von der Wanderung unseres Volkes durch den Nexus in den Quaddie-Raum. Hier handelt es sich um das Liebesduett zwischen Leo und Silver. Ich tanze Silver. Ich hoffe, meine zweite Besetzung vermurkst es nicht …«Sie verstummte, da die Ouvertüre begann.
Zwei Gestalten, ein Planetarier und eine blonde Quaddie-Frau, schwebten aus entgegengesetzten Richtungen herein, gewannen an Schwung durch Handspins um zwei 134
der Stangen und trafen sich in der Mitte. Diesmal gab es keine Trommeln, nur den lieblichen, fließenden Klang des Orchesters. Die Beine des Leo-Darstellers wurden wie nutzlos nachgezogen, und Miles brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass er von einem Quaddie-Tänzer mit Beinattrappen gespielt wurde. Wie die Frau vom Drehmoment Gebrauch machte, die verschiedenen Arme anzog oder ausstreckte, während sie herumwirbelte, war brillant kontrolliert, und ihre Wechsel der Flugbahnen um die Stangen waren präzis. Nur wenn Granat Fünf vernehmlich Luft holte oder etwas Kritisches murmelte, konnte Miles ahnen, dass etwas nicht ganz perfekt war. Der Kerl mit den falschen Beinen war absichtlich unbeholfen und erntete damit ein Gekicher von den Quaddies im Publikum. Miles rutschte unbehaglich hin und her, als er erkannte, dass er hier auf beinahe parodistische Weise miterleben durfte, wie Planetarier in den Augen der Quaddies wirkten. Aber die bezaubernden hilfsbereiten Gesten der Frau ließen es eher liebenswert als grausam erscheinen. Bel grinste, beugte sich herüber und murmelte in Miles’ Ohr: »Es ist schon in Ordnung. Leo Graf soll wie ein Ingenieur tanzen. Das war er ja auch.«
Der Aspekt der Liebe in der ganzen Geschichte war
deutlich genug. Affären zwischen Quaddies und Planetariern hatten anscheinend eine lange und ehrbare Geschichte.
Miles kam der Gedanke, dass gewisse Aspekte seiner Jugend vielleicht viel leichter gewesen wären, wenn Barrayar ein Repertoire romantischer Geschichten besessen hätte, in denen kleinwüchsige, verkrüppelte Helden die Stars gewesen wären an Stelle von Mutantenschurken. Falls dies hier 135
ein passendes Beispiel war. dann war es offensichtlich, dass Granat Fünf kulturell vorbereitet war, die Julia für ihren barrayaranischen Romeo zu spielen. Aber diesmal wollen wir keine Tragödie anrichten, ja?
Das verzaubernde Stück erreichte seinen Höhepunkt,
und die beiden Tänzer grüßten die begeistert klatschenden Zuschauer, bevor sie hinaus schwebten. Die Lichter leuchteten wieder auf; es war Zeit für eine Pause. Die darstellenden Künste, so erkannte Miles. waren grundsätzlich durch die Biologie eingeschränkt, in diesem Fall durch das Fassungsvermögen der menschlichen Blase, egal ob von Planetariern oder Quaddies.
Als sie sich alle wieder in ihrer Loge trafen, bemerkte er, dass Granat Fünf gerade Ekaterin die Namenskonventionen der Quaddies beschrieb.
»Nein, es ist kein Familienname«, sagte Granat Fünf.
»Als die Quaddies von der GalacTech Corporation entwickelt wurden, gab es von uns nur eintausend. Jeder hatte nur einen persönlichen Namen plus eine Personalnummer, und da wir so wenige waren, war jeder Name einmalig. Als unsere Vorfahren in die Freiheit flohen, veränderten sie die Nummerncodierung, aber sie behielten das System einzelner, einmaliger Namen bei, die in einem Register verzeichnet wurden. Da man aus allen Sprachen der alten Erde schöpfen konnte, dauerte es einige Generationen, bis das System an seine Grenzen stieß. Die Wartelisten für die wirklich populären Namen waren irrsinnig lang. So stimmte man für eine Erlaubnis der Mehrfachbenutzung von Namen, aber nur, wenn der Name ein numerisches Suffix hatte, damit wir immer jeden Leo von jedem anderen Leo un136
terscheiden konnten. Wenn man stirbt, dann geht die Name-Nummer-Kombination wieder in das Register zurück, um erneut gezogen zu werden.«
»Ich habe einen Leo Neunundneunzig in meinem Dockund-Schleusen-Team«, sagte Bel. »Das ist die höchste Nummer, auf die ich bisher gestoßen bin. Man scheint niedrigere Zahlen oder gar keine Zahlen
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