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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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anderen Seite wieder hinauf.
    Vor ihr erstreckte sich eine breite Ebene; auf beiden Seiten war sie von einem Band struppiger Pinyon-Kiefern begrenzt. Ein euphorisches Gefühl der Sinnhaftigkeit durchdrang sie. Zum ersten Mal seit Jahresumläufen wußte sie, wozu sie am Leben war. Sie lebte hier und jetzt, um Sonnenjäger beim Entwirren des Labyrinths zu helfen. Er brauchte sie.
    Ich bin dir entkommen, Stechapfel. Du wirst mich niemals finden. Niemals.
    Nach all den Bürden, die sie in den vergangenen fünf Jahresumläufen getragen hatte, wirkte diese Ödnis auf Turmfalke wie ein zu Kopf steigendes Wacholderbeerengebräu. Sie wollte nicht zurückgehen. Nie wieder.
    Aber Wolkenmädchen … O mein Baby, mein Baby. Turmfalke passierte den Knoten im Zentrum. Sie hatte die Augen fest auf die orangefarbene Spitze gerichtet und lief zwischen zwei riesigen Felskämmen hindurch, die sich zu beiden Seiten wie zwei ausgezackte Zahnreihen erhoben. Sie wurden immer enger, je mehr sie sich einer tiefen, dunklen Felskluft näherte. \
    Turmfalke flüsterte: »Wie die V-förmig zusammenlaufenden Wände einer Falle.«
    Die nackten Sandsteinwälle wanden sich über eine Klippe. Die ätherische, orangefarbene Spitze schwebte jenseits der Felskluft auf einem Bett flauschiger Wolken. Turmfalke blieb so abrupt stehen, daß sie rückwärts stolperte und keuchend auf die Erde fiel. Zwischen dem Abgrund und der Felsspitze lag nichts als Dunkelheit. »Sonnenjäger! Sonnenjäger, wo bist du?«
    »Ruf mich, Turmfalke! Bitte, ruf mich immer wieder!«
    »Sonnenjäger! Ich bin hier. Hier, auf der Klippe. Sonnenjäger, Sonnenjäger, Sonnenjäger …«
    Turmfalke wurde plötzlich wach und zuckte zusammen.
    Wolken waren aufgezogen und hatten das Sternenvolk verdeckt. Winzige Schneeflocken trieben aus der Dunkelheit hernieder. Eine weiße Decke von einer halben Handbreit Dicke lag auf den Ästen der Espen und gleichfalls auf Turmfalkes und Wolkenmädchens Felldecke. Helfer saß mit gespitzten Ohren neben Sonnenjäger und schlug mit dem Schwanz auf den Boden.
    Turmfalke verstand das nicht, bis sie Sonnenjäger keuchen hörte und sah, wie er wie ein mit einem Stachel durchlöcherter Wasserbeutel einsackte und zur Seite fiel. Helfer sprang mit einem scharfen Bellen aus dem Weg und schlitterte mit dem Kinn im Schnee vom Felsen.
    »Sonnenjäger!« schrie Turmfalke, eilte zu ihm und legte ihren linken Arm unter seinen Kopf, damit er nicht mit dem Schädel auf dem Granit aufschlug. Seine Schulter machte schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Boden. Geschwächt ließ er sich auf den Rücken fallen und begrub ihre linke Seite unter sich.
    Sein weißes Haar war mit funkelnden Schneekristallen bedeckt. Er schien zu atmen, aber sie war sich nicht sicher.
    Turmfalke arbeitete sich unter ihm hervor und setzte sich hin. »Sonnenjäger! Sonnenjäger!«
    Er bewegte sich unsicher. »Turmfalke?«
    »Sonnenjäger, es schneit. Wir müssen in die Schwitzhütte gehen, oder wir erfrieren.«
    Sie rutschte vom Felsen herunter, schlug die Wapitihaut über Wolkenmädchens Gesicht hoch, um sie vor dem Schnee zu schützen, und rannte zur Vorderseite des Felsens, um Sonnenjäger zu helfen. Das Mammut stand mit weit geöffneten Augen auf.
    »Es geht ihm gut, Mutter«, sagte Turmfalke. »Er ist zu uns zurückgekommen.«
    Doch die Kuh schaute unverwandt zu, als Turmfalke Sonnenjäger beim Aufsetzen half.
    Als müßte er all seine Kräfte sammeln, atmete Sonnenjäger mehrmals tief durch. Dann schwang er langsam seine Beine über den Rand des Felsens und ließ sich in Turmfalkes Arme fallen. Sie taumelte, doch es gelang ihr, ihn aufrecht zu halten. Das Mammut stöhnte wie vor Schmerz auf.
    »Turmfalke, warte«, flüsterte er. »Laß mir nur noch ein bißchen Zeit.«
    Sonnenjäger wandte sich um und schaute der Kuh in die Augen. Dann streckte er eine zitternde Hand aus. Die Kuh hob den Rüssel und berührte liebevoll Sonnenjägers Finger, schlang die Rüsselspitze um sein Handgelenk und hielt es fest.
    »Sonnenjäger«, sagte Turmfalke, »du bist eiskalt. Ich muß dich in die Schwitzhütte bringen. Wir müssen uns beeilen.« »Nur noch einen Moment.«
    Er bog die Hand im Griff des Mammuts so, daß er den Rüssel der Kuh umfassen konnte, und streichelte sie dann sanft mit der anderen Hand. Turmfalke mußte sich kräftig mit den Füßen gegen den Boden stemmen und die Arme eng um Sonnenjäger schlingen. Seine Beine zitterten so stark, daß sie befürchtete, ihn nicht mehr halten zu können. Und

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