Voyager 008 - Cybersong
nicht mehr ertragen, allein zu sein. Bitte komm zu mir. Sei mein Freund.
Chakotay sank im Korridor zu Boden und preßte sich beide
Hände an die Schläfen. Widerstand. Er leistete Widerstand. Er
kämpfte, um sein Selbst zu bewahren, um auch weiterhin
Chakotay zu sein. Er fürchtete, von dem fremden Etwas
übernommen zu werden…
Wie Wasser. Eine andere Stimme erklang, ruhiger als das fremde Heulen, ruhig und sicher. Sei wie Wasser. Du weißt jetzt, womit du es zu tun hast, und deshalb kannst du es an dir
vorbeifließen und auch in dich hineinströmen lassen. Wehr dich nicht, sei wie Wasser…
Er erkannte den Rat. Sein Totem. Es war bei ihm, seit sein
Vater und die Medizinmänner ihn damals in die Weisheit des
Stammes eingeweiht hatten. Seit damals begleitete es ihn und
hielt immer einen guten Rat bereit.
Jetzt forderte es ihn auf, nachzugeben und keinen Widerstand
mehr zu leisten.
Was sich als sehr schwer erwies. Es war eine der
schwierigsten Aufgeben, denen sich Chakotay jemals gestellt
hatte. Den Geist zu öffnen, obwohl er wußte, daß er dann einem
mentalen Angriff zum Opfer fallen würde… So etwas erforderte
viel Mut.
Langsam vertrieb er die Anspannung aus sich. Es bestand kein
Grund zur Sorge. Das fremde Ich wollte ihn nicht übernehmen,
nur mit ihm reden. Was er für eine geistige Attacke gehalten
hatte, war in Wirklichkeit der Versuch, eine
Kommunikationsverbindung herzustellen. Chakotay wiederholte
diese Überlegungen immer wieder, wie ein Mantra. Das fremde
Wesen will mit mir sprechen. Es beabsichtigt nicht, mich zu
übernehmen. Dein Selbst gehört auch weiterhin dir. Wenn du
jetzt nachgibst… Dann fließt das Etwas durch dein Ich.
Anschließend fühlst du dich sauber und erfrischt.
Chakotay wußte nicht genau, ob dieses Bild der Wirklichkeit
entsprach, aber es genügte. Er versuchte, sich die Entität als eine andere, von ihm getrennte Person vorzustellen, die er als
potentiellen Freund begrüßte.
»Hallo, Reisender. Es freut mich, Ihnen hier zu begegnen.«
Kontakt? Sie sprechen mit mir? Die mentale Stimme klang nach einem Kind. Und die Emotionen waren kindlicher Natur,
sehr einfach gestaltet.
»Ja, ich spreche zu Ihnen«, sagte Chakotay so vorsichtig, als
richteten sich seine Worte an ein zwar gescheites, aber sehr
verängstigtes Kind. »Alles wird gut. Sagen Sie uns nur, wo wir
Sie finden können. Dann holen wir Sie und nehmen Sie mit.
Dann brauchen Sie nie wieder allein zu sein.«
Die Kindstimme lachte. Ich bin hier, erwiderte sie. Hier, überall hier. Bleiben Sie bei mir?
Vielleicht lag es an dem ›Engel‹ mit der indigofarbenen Haut.
Vielleicht lag es an der Hoffnungslosigkeit, mit der damals die
vierarmigen Fremden in den Tod gegangen waren. Chakotay
kannte den Grund nicht, aber er weigerte sich instinktiv, der
Unschuld und Furcht in jener Stimme zu vertrauen.
Er hatte oft gehört, daß während eines telepathischen Kontakts
keine Lügen möglich sein sollten. Doch was er jetzt vernahm…
Chakotay vermutete, daß es sich vielleicht nicht direkt um die
Unwahrheit handelt, aber zumindest um eine falsche
Interpretation der Wahrheit.
»Wir kommen jetzt«, sagte Chakotay. »Wir verlassen unser
Schiff, um Ihnen zu begegnen. Sind Sie bereit, sich uns zu
zeigen? Bisher hatten wir noch keine Gelegenheit, Sie zu
sehen.«
Das Lachen wiederholte sich, verklang aber sofort wieder. Sie haben mich gesehen. Ich bin schön.
Chakotay gab keine Antwort. Er zweifelte nicht an der
boshaften und künstlichen Natur der ›Engel‹.
Die fremde Präsenz in seinem Selbst verursachte stechende
Kopfschmerzen. Er versuchte auch weiterhin, keinen
Widerstand zu leisten – nur auf diese Weise konnte er
verhindern, daß sein Selbst splitterte.
Sie hassen mich! kreischte die Entität, und ihre schrille Stimme hallte in Chakotays Kopf wider. Sie wollen mich
loswerden. Sie sind wie die anderen, wie all die anderen. Aber ich lasse es nicht zu.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr. Chakotay?« fragte Kes
besorgt und beugte sich über ihn. Sie hatte ihre Medotasche auf
den Boden gelegt – vermutlich war sie auf dem Weg zum
Hangar gewesen, um sich für die Mission bereit zu melden.
Chakotay blinzelte mehrmals, bis das Bild vor seinen Augen
wieder klare Konturen gewann. »Ich bin unverletzt. Das fremde
Etwas hat zu mir gesprochen. Offenbar habe ich es verärgert.«
Kes nickte ernst. »Ich weiß, was Sie meinen. Als ich den
Turbolift verließ, spürte ich Zorn um
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