Wach auf, wenn du dich traust
ich fast gekentert!«
Jenny atmete tief aus. Sollte sie sich jetzt etwa entschuldigen, dass sie jemanden vorm Ertrinken retten wollte?
»Ich glaube, jemand sollte sich um Sebastian kümmern«, sagte sie schließlich.
»Ich bin doch kein Babysitter«, erwiderte Deborah patzig, drehte sich um und ging zu den anderen.
Der metallische Geschmack in Jennys Mund wurde stärker.
Sie atmete noch einmal tief durch. Langsam verging die Übelkeit wieder.
Alle stärkten sich an Broten und Getränken. Jenny hatte sich notdürftig umgezogen und ihr wurde allmählich wieder warm.
Die Ersten wurden unruhig, die Boote wieder ins Wasser zu lassen. Da stand Markus auf.
»Wir haben durch die Aktion mit Sicherheit eine gute halbe Stunde verloren. Der Wind hat aufgefrischt und nach meiner Einschätzung hält das Wetter höchstens noch ein bis zwei Stunden. Wenn ihr euch jetzt abholen lassen wollt, sind wir auf der sicheren Seite, aber ihr verliert erheblich an Punkten. Wenn wir weitermachen und an dem vorgesehenen Endpunkt aus dem Fluss gehen, könnte es am Ende höchstens ein bisschen ungemütlich werden. Bei ernsthaftem Unwetter müssen wir ohnehin abbrechen, da hilft alles nichts. Also, es liegt bei euch. Umkehren oder weiter?«
»Wir fahren natürlich weiter!« Silvio hatte die Arme vor der Brust verschränkt und alle aus der Gruppe, die er um sich gesammelt hatte, nickten. Auch Debbie.
Markus lächelte. »Hab ich mir’s doch gedacht, einige wissen eben, worauf es ankommt«, sagte er. Er hielt den Daumen in die Höhe. »Ihr lasst euch nicht unterkriegen, oder? Zieht am besten gleich die Regensachen an, auf dem Fluss wird das schwierig. Und seht zu, dass alle Rucksäcke mit den Planen geschützt werden!«
Alle begannen, ihre Sachen zusammenzusuchen. Langsam wurde die Stimmung besser, sie ignorierten den auffrischenden Wind und ließen schon beinahe ausgelassen die Boote ins Wasser.
Als sie wieder hinter Debbie im Boot saß, sah Jenny sich nach Sebastian um. Er schien mit Finn über irgendetwas zu diskutieren. Hoffentlich würde es jetzt nicht noch zu einem Streit kommen, nicht dass die Stimmung noch einmal kippte.
Der Fluss schien sich bereits auf Gewitter eingestellt zu haben. Er kam Jenny viel schneller und turbulenter vor als bisher. Als die Boote eines nach dem anderen ins Wasser glitten, ebbten die Gespräche ab. Alle konzentrierten sich aufs Paddeln.
Jennys Arme schmerzten und Deborahs auffälliges Schweigen zeugte davon, wie sehr auch sie sich anstrengte.
»Kannst du noch?«, fragte Jenny sie. Deborah sah kurz nach hinten. Nach einem Blick auf Silvio, der irgendwo links von ihnen war, nickte sie. »Geht schon«, ächzte sie, was eigentlich das Gegenteil bewies.
Dann begann es zu tröpfeln. Jenny warf einen Blick zum Himmel und dann zu Markus, der an der Spitze der Truppe war. Er gab kein Zeichen zum Anhalten.
Jenny stülpte die Kapuze ihrer Regenjacke über und zurrte sie fest. Zu ihrem Erstaunen war der Fluss plötzlich wieder ruhiger geworden.
»Wie weit ist es noch?«, rief sie in Richtung von Deborahs Rücken. Der Wind trug ihre Worte davon, sie musste richtiggehend schreien.
»Keine Ahnung«, schrie Deborah zurück, »wir müssten es eigentlich gleich geschafft haben! Hoffe ich!«
Eine Windböe erfasste sie seitlich, und obwohl das Kanu so tief im Wasser lag, gerieten sie ins Schaukeln. Deborah kreischte auf.
Nun setzte der Regen richtig ein. In großen, schweren Tropfen platschte er auf Boot, Paddel, Rucksäcke und Regenjacken.
»Fuck!«, schrie irgendjemand. Jenny versuchte blinzelnd, durch den Regen zu sehen. Sie konnte nicht viel erkennen, doch allem Anschein nach hielten sich noch alle Boote auf dem Wasser.
Pauline und Saskia glitten neben sie.
»Ich glaube, Markus will echt bis zum Ende durchfahren!«, schrie Saskia herüber.
»Wie weit ist das?«, rief Jenny gegen den immer lauter werdenden Regen an.
Saskia schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Zwei Flussbiegungen, ich bin hier schon gefahren«, rief Pauline und hielt ihr Paddel ins Wasser, um nicht gegen Jennys und Deborahs Boot zu knallen. »Da müsste der Bus stehen.«
Jenny hoffte, dass Pauline recht hatte.
»Wir haben’s gleich geschafft«, sagte Jenny, ohne zu wissen, wem sie damit mehr Mut machen wollte: Deborah oder sich selbst.
Warum bricht er nicht ab, dachte sie, warum lässt er uns weiterfahren? Wahrscheinlich wegen des Busses, fiel ihr ein, der wartet ja auf uns und er kann den Fahrer jetzt vermutlich nicht
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