Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
Küche.
»Hier. Schauen Sie sich das bitte an.« Sie streckte ihr das Blatt hin. »Das ist Blanche.«
Anne sah auf das Blatt und schwieg.
»Kapieren Sie denn nicht?«, fragte Sam und tippte auf die Skizze. »Blanche hält einen Strauß von dem Liebesblutstrauch in der Hand.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, erwiderte Anne, ohne die Müdigkeit in ihrer Stimme zu verbergen. »Was beweist das denn?«
»Ich sage Ihnen, es ist Blanche«, erklärte Sam und schüttelte das Blatt wütend vor Annes Gesicht. »Die Frau aus meinen Träumen.«
»Sam …«
Anne brach ab, als Sam den Kopf zur Tür wandte und dann wieder ihr zukehrte. Sie sah das Misstrauen in Sams Gesicht.
»Wen haben Sie hergerufen?«
Bevor Anne antworten konnte, tauchte Greg in der Tür auf. Roxy rannte freudig zu ihm, und er hielt inne, um sie am Kopf zu kraulen. Als er aufschaute, ging sein Blick erst zu Sam und dann zu Anne. »Was ist denn los?«
»Greg«, sagte Anne ruhig. »Sam hat heute Nachmittag einen Unfall gehabt. Sie hat sich den Kopf an einem Metallpfosten draußen am Steg angeschlagen und muss zum Arzt.«
»Nein«, rief Sam aus. »Ich habe mir wirklich den Kopf angeschlagen, aber sie hält mich für verrückt.« Sie stürzte zu Greg und zerrte ihn am Ärmel. »Sie wird mich einweisen lassen. Das dürfen Sie nicht zulassen.« Sie erzählte ihm stammelnd und überstürzt, was sich am Nachmittag zugetragen hatte, und endete damit, dass sie das Bild vor ihm schwenkte.
»Sam, beruhigen Sie sich, und lassen Sie mich die Skizze sehen«, sagte er sanft. Er nahm das Bild entgegen und betrachtete es. »Ich war damals noch ein Kind, daher habe ich Blanche kaum gekannt, aber das hier sieht ungefähr so aus, wie ich sie in Erinnerung habe.«
»Sehen Sie?« Sam warf Anne einen triumphierenden Blick zu.
»Aber«, fuhr Greg fort, »ob das nun eine Zeichnung von Blanche ist oder nicht, Sie müssen trotzdem einen Arzt aufsuchen.«
Sam trat zwei Schritte zurück. »Sie ergreifen ihre Partei«, schrie sie. »Ich dachte, Sie wären mein Freund.«
Greg trat vor. »Das bin ich auch.«
»Nein, sind Sie nicht.«
»Sam, seien Sie Greg nicht böse. Er macht sich ebenso große Sorgen um Sie wie ich.« Anne trat vor. »Bitte, lassen Sie zu, dass ich Sie ins Krankenhaus bringe.«
Sam senkte den Kopf. »Und was ist mit Roxy?«
Greg legte ihr die Hand auf die Schulter und lächelte sie an. »Die nehme ich mit nach Hause.« Er legte die Zeichnung auf den Küchentresen. »Morgen bringe ich sie zurück.«
»Versprochen?«
»Ja, Sam, das verspreche ich Ihnen. Werden Sie jetzt mit Anne gehen?«
»Aber nur zur Kontrolle. Ich bleibe nicht da«, sagte sie und reckte trotzig das Kinn vor. Sie machte kehrt und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
Ann sah ihr nach und rieb sich dann mit den Händen das Gesicht. »Danke«, stieß sie zwischen den Fingern hervor.
»Was stimmt Ihrer Meinung nach wohl nicht mit ihr?«
Anne stieß den Atem aus und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Als ich vorhin beim Telefonat mit ihm ihre Symptome beschrieben habe, dachte Dr. Douglas, dass mit ihr alles in Ordnung sei. Er hat allerdings gesagt, ich solle sie beobachten, falls später Probleme auftauchen.«
»Was für Probleme denn?«
»Anfälle, Verwirrung.« Sie blickte sich nach der geschlossenen Schlafzimmertür um. »Einen Anfall hat sie meines Wissens nicht erlitten, aber sie ist eindeutig verwirrt.« Anne kaute kurz auf ihrer Unterlippe herum. »Ich muss ihren Vater anrufen.«
»Hat das nicht Zeit?«
»Nein.« Sie kniff sich in die Nasenwurzel. »Das Ganze ist chaotisch, und das Letzte, was ich brauchen kann, ist, dass Lawrence Moore versucht, mich wegen Pflichtversäumnis vor Gericht zu bringen.«
Anne ging im Krankenhauskorridor auf und ab, während sie darauf wartete, dass die Röntgenassistentin mit Sams Computertomografie fertig wurde. In der Notaufnahme hatte Sam still dagesessen und Anne der Krankenschwester ihre Symptome erklären lassen. Anne war ehrlich gewesen und hatte Sams Verwirrung und ihren Blackout beschrieben, aber Hinweise auf Blanche unterlassen. Sie blieb stehen und trank einen Schluck bitteren Kaffee aus der Styroportasse, die sie in der Hand hielt. Bei dem säuerlichen Geschmack verzog sie das Gesicht. Was dauerte nur so lange? Sie nahm ihr einsames Hin und Her wieder auf. Sie hatte Lawrence Moore angerufen, aber er hatte nicht abgenommen. Sie hatte auf seiner Mailbox nicht zu ausführlich werden wollen und möglichst beruhigend
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