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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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genießt, wird noch unterstützt durch …«
    »Ich habe keinerlei Genie. Ich bin ein Possenreißer. Ich habe große Hände und große Füße und …«
    »Macht nichts, Shamus gibt dir von seinem ab. Schließlich, wer mit mir schläft, muß einfach ein Genie sein, nicht wahr? Zumindest in Shamus’ Roman. Ich meine, es kann nicht einfach schmutzig und banal sein, sonst ist es keine Kunst. He Cassidy, ich habe dir einen Brief geschrieben.«
    Sie öffnete ihr Täschchen, gab ihm den Brief und wartete, während er ihn las. Auf dem Umschlag stand: An Lover . Das Blatt war liniert, von Shamus’ Schreibblock abgerissen.
    In einer Nacht hast du mir mehr gegeben als alle anderen im ganzen Leben .
    »Helen –.«
    »Ich finde, es hat Rhythmus«, erklärte sie und beobachtete ihn beim Lesen. »Ich hab’ lange daran gearbeitet. Ich wollte es eigentlich mit Shamus besprechen, habe es dann aber doch gelassen. Schließlich bin ich nicht seine Sklavin, nicht?«
    »Lieber Gott, nein«, rief Cassidy lachend. »Es verhält sich eher umgekehrt, würde ich sagen.«
    »Cassidy. Du sollst ihn nicht schlagen.«
    »Tue ich ja nicht.«
    »Nein, tu’s nicht. Er ist dein Freund.«
    »Helen –.«
    »Wir müssen ihn beschützen, mit allen unseren Kräften. Denn wenn er je dahinterkommt, wird es sein Ende sein. Bestimmt.«
    Der Fußballplatz war leer; die Kinder waren fort. Es war auch auf dem Fluß ein stiller Tag, vielleicht ein Feiertag oder ein Gebetstag.
     
    Nichts hatte sich verändert, doch der Ort gehörte bereits der Vergangenheit an. Sein Smoking hing noch immer im Gästezimmer. Leichter Staub menschlicher oder mineralischer Herkunft lag grau auf den Schultern. Die Küche roch nach Gemüse; sie hatte vergessen, den Abfalleimer zu leeren; das Panoramafenster war mit bräunlichem Schmutz überzogen. Der Schreibtisch war genauso, wie der große Autor ihn verlassen hatte, nur das Papier war vergilbt und von der Sonne aufgerollt, und der Staub so dick, daß man darauf zeichnen konnte. Keats lag auf dem Fließpapier. Die Baskenmütze hing über der Stuhlkante. Sie umarmten sich, küßten sich; küßten sich im getrübten Tageslicht, mit den Lippen, den Zungen; Cassidy streichelte sie, vor allem ihren Rücken, er strich das Rückgrat entlang bis zum Ende und fragte sich, ob sie etwas dagegen hätte, wenn er weitermachte. Lippenstift schmeckt bei Tag anders, dachte er: warm und schmuddelig. »Cassidy«, flüsterte sie. »Oh, Cassidy.«
    Sie nahm seine Finger und küßte sie und legte sie auf ihre Brust und blickte zuerst auf die Schlafzimmertür und dann wieder auf Cassidy, dann seufzte sie.
    »Cassidy«, sagte sie.
    Sie hatten es ungemacht zurückgelassen, die Laken zum Lüften aufgeschlagen, die Kopfkissen in der Mitte gehäuft wie für eine Person. Die Bettdecke lag auf dem Boden, hastig beiseite geworfen, und die Gardinen waren halb zugezogen, auf der Seite, die von den Nachbarn eingesehen wurde. Im dürftigen Licht war das Blau sehr dunkel, mehr schwarz oder grün als blau, und die geblümte Tapete wirkte zerzaust, herbstlich, was im Kinderzimmer nie der Fall gewesen war. Cassidy stieg über die Bettdecke hinweg, trat ans Fenster und zog die Gardinen zu.
    »Ich hätte jemanden zum Saubermachen herschicken sollen«, sagte er. »Wie dumm von mir.«
    Als er sie liebte, roch Cassidy den vertrauten Geruch von Shamus’ Schweiß und hörte das Teppichklopfen im Hof des weißen Hotels.
     
    Danach tranken sie Talisker im Wohnzimmer, und Helen fing grundlos an zu schaudern wie Sandra zuweilen, wenn er zu ihr über Politik sprach.
    »Du hast kein zweites Liebesnest, nicht wahr?« fragte sie.
    Beim Lunch im Boulestin faßten sie mit ausgeruhten Köpfen einen wunderbaren Plan. Sie würden nur frivole Absteigen aufsuchen, wie ein echtes heimliches Liebespaar.
     
    Das Adastras-Hotel in der Nähe des Bahnhofes Paddington , schrieb Cassidy in seinen geheimen Baedeker, könnte man mit einem gewissen weißen Hotel in Paris vergleichen , das Ihre Chronisten erst ausfindig machen müssen … Es hat die gleiche altmodische , unauffällige Eleganz und viele schöne alte Pflanzen , die von der Direktion seit langem gehegt wurden . Bahnhofsbubis finden hier einen sicheren Hafen ; die Schlafzimmer gehen direkt auf die Rangierschuppen und bieten einen ganznächtigen , ungehinderten Einblick in einen wenig bekannten Aspekt des britischen Verkehrswesens . Das Hotel wird vorwiegend von heimlichen Liebespaaren frequentiert : Seine schönen , rauchverzehrten

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