Wachsam
ihm ein, daß Lokomotiven nicht mehr dampften, und er erkannte, daß es Nebel war, dicker, giftiger Nebel. Helen schlief, getrennt von ihm durch jenen inneren Frieden, der mit dem Glauben kommt. Keine Qual, kein Schrei, kein ärgerliches Flüstern gegen den Höllenhund Dale: eine tiefe Ruhe, Lohn der Kraft.
Helen ist unsere Kraft; Helen ist ewig.
Helen kann schlafen.
Sie standen spät auf, und verbrachten den Tag mit dem Aufsuchen ihrer Lieblingsstätten, aber die Gibbons fanden den Nebel nicht lustig, und die Mussolinibüste war zum Reinigen entfernt worden. »Wahrscheinlich geklaut von Faschisten aus Gerrards Cross.«
»Wahrscheinlich«, pflichtete Cassidy bei.
Sie fuhren nicht nach Greenwich.
Nachmittags sahen sie einen französischen Film, den sie beide fabelhaft fanden, und als die Vorstellung aus war, gingen sie zurück ins Adastras zu einem weiteren Meinungsaustausch.
Danach, in der Intimität gemeinsamen Ausruhens, erzählte sie ihm, ohne sich lang bitten zu lassen, wie sie und Shamus sich getrennt hatten.
»Es war so leicht , herrje. Ich habe nur gesagt, ich glaube, ich gehe in die Stadt und mache Besorgungen und schaue nach Sal und mache die Wohnung sauber und suche Dale auf und treffe mich mit Cassidy, und er sagte, gut, geh nur. Ich meine, er tut es, warum sollte ich nicht? Außerdem war er völlig glücklich. Ich sagte, ich würde ihn anrufen, und er sagte, nicht nötig, wie lange ich bleiben werde? Ich sagte eine Woche, und er sagte gut. Na ja, das war doch ganz in Ordnung, oder?«
»In Ordnung«, sagte Cassidy. »Natürlich. Absolut in Ordnung. Hast du das schon früher gemacht?«
»Was gemacht?« fragte Helen scharf.
»Besorgungen. In London. Sal und so weiter aufgesucht. Allein.«
Sie dachte lange nach, ehe sie sprach.
»Cassidy, du mußt versuchen zu verstehen. Es gibt mich in einer Ausgabe, in einer einzigen. Sie gehört dir. Ein Teil von mir gehört Shamus, das stimmt. Aber nicht dein Teil. Noch Fragen?«
»Nein.«
Ihm zuliebe telefonierte sie dann doch nach Lowestoft, aber es meldete sich niemand.
Sandra hingegen war sofort am Apparat.
»Sie haben mir Lowestoft angeboten«, sagte er.
»Oh.«
»Freust du dich nicht?«
»Natürlich. Sehr.«
»Was machen die Einladungen?«
Für die Party; die Feier. Was immer wir auch feiern.
»Hundert verschickt, bisher zwanzig Antworten«, sagte Sandra, und: »Wir hoffen sehr, daß es dir möglich sein wird, zu kommen.«
»Vielen Dank«, sagte Cassidy und machte einen Scherz daraus. »Das hoffe ich auch.«
31
Während dieser anstrengenden Periode in Cassidys Leben ereignete sich – am nächsten Morgen vielleicht, am übernächsten – einer jener kleinen Zwischenfälle, die im Prinzip das Schicksal des großen Liebhabers kaum beeinflußten, desungeachtet jedoch das Gefühl nahender Abrechnung, das sich langsam seiner bemächtigte, mit unangenehmem Nachdruck verdeutlichte. Als er gegen Mittag im Büro eintraf, zu einer seiner seltenen Stippvisiten von der größeren Bühne, auf der zu wirken er sich entschlossen hatte, herabgestiegen war – eine Verabredung, die er um jeden Preis einhalten müsse, hatte er Helen gesagt, eine politische Besprechung auf ziemlich hoher Ebene –, sah er sich dem unverschämten Glotzen der Empfangsdame sowie einem lila Briefumschlag gegenüber, der in Angie Mawdrays Handschrift an ihn adressiert war.
Er fand sie im Bett, mit hohem Fieber, Lettice auf ihrem Schoß und Che Guevara an der Wand.
» Wieso weißt du es? « drängte er , während er ihre Hand hielt .
»Weil ich es fühle, das ist alles.«
»Aber was fühlst du, Angie?«
»Ich fühle, wie es in meinem Bauch wächst. Ein Gefühl, als müßte man aufs Klo. Ich kann sein Herzklopfen fühlen, wenn ich ganz still liege.«
»Hör zu, Angie, Liebes, warst du beim Arzt?«
»Kommt nicht in Frage«, sagte sie.
»Nur zum Nachsehen, weiter nichts.«
»Fühlen ist Wissen. Das hast du gesagt. Wenn man etwas fühlt, dann ist es wahr. In meinem Horoskop steht es auch. Daß ich mein Herz einem Fremden gebe. Nun, wenn ich ein Baby bekomme, dann schenke ich ihm ein Herz, oder, also basta.«
»Hör zu«, sagte Cassidy, jetzt eindringlich. »War dir übel?«
»Nein.«
»Hast du …?« Er versuchte, sich an die entsprechenden Euphemismen zu erinnern … »Ist der Chinese dagewesen?«
»Ich weiß nicht.«
»Natürlich weißt du es!«
»Manchmal kommt er fast gar nicht.« Sie kicherte und zog seine Hand unter die Bettdecke. »Er klopft nur an und
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