Waechter des Labyrinths
zustößt», sagte er kraftlos.
«Und ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn dir etwas zustößt. Aber das heißt nicht, dass ich dich anlügen oder überlisten oder zu etwas zwingen würde, was du sonst nicht tun würdest. Das heißt nicht, dass ich von dir so wenig Hilfe erwarten würde, dass ich dich wegschicke, wenn ich dich am meisten brauche.» Sie seufzte und schüttelte den Kopf. «Egal. Darüber können wir sprechen, wenn ich zurück bin. Ich werde mein Bestes tun, versprochen. Und wer weiß? Vielleicht finde ich ja etwas heraus.» Sie nickte energisch, als wollte sie sich selbst überzeugen. «Vielleicht finde ich etwas heraus.»
Als er zurück in die Stadt fuhr, umklammerte er fest das Lenkrad. Er fühlte sich abwechselnd bedrückt, entmutigt, dumm und einsam. Hinter ihm ging die Sonne auf und warf lange Schatten. Allmählich nahm der Verkehr zu. Er musste zwar nicht viel langsamer fahren, ihm wurde aber klar, dass er für einen Besuch bei Augustin keine Zeit mehr hatte, wenn er um acht in Eleusis sein wollte. Und wenn er ehrlich war, erleichterte ihn das. Ihm fehlte der Mut, Claire gegenüberzutreten.
Er fuhr Richtung Westen über den alten heiligen Weg. Es war die Straße, auf der viele Jahrhunderte lang die Zelebranten von Athen nach Eleusis gereist waren, eigentlich eine geschichtsträchtige Strecke. Doch der Weg hatte nichts Heiliges mehr und führte lediglich an einer Reihe schäbiger Einkaufszentren und Wohnhäuser vorbei, zwischen die sich hier und da ein Industriegebiet drängte. Knox nutzte die Zeit, um den Vortrag gedanklich noch einmal durchzugehen und sich mit der Struktur und den Themen vertrauter zu machen. Dann flackerten die Bremslichter des grünen Lieferwagens vor ihm auf, und der Wagen kam quietschend zum Stehen, sodass auch Knox hart in die Bremsen gehen musste. Als er sich aus dem Fenster lehnte, sah er einen Verkehrsstau vor sich. Eine Minute verstrich, ohne dass sich etwas rührte. Zwei Minuten. Einige Fahrer begannen, ihre Frustration an der Hupe auszulassen. Vielleicht kamen sie zu spät zur Arbeit oder kehrten gerade mit schweren Augen von der Nachtschicht heim. Knox nutzte die Gelegenheit, um ein paar Anrufe zu machen. Er hinterließ eine Nachricht für Charissa, obwohl ihm seine Spekulationen vom Vorabend nun ziemlich fadenscheinig erschienen. Er rief noch einmal Iain Parkes an, den er gestern nicht persönlich erreicht hatte. Da sein Handy immer noch ausgeschaltet war, sprach er ihm erneut auf die Mailbox und nannte Gailles Flugnummer und ihre voraussichtliche Ankunftszeit.
Zu seiner Rechten sah er die berühmte rarische Ebene, auf der die jungfräuliche Göttin Persephone eines Tages Krokusse gepflückt hatte. Hades, der Herrscher der Unterwelt, hatte sie gesehen und war von ihr hingerissen. Er hatte sie entführt und mit sich unter die Erde genommen. Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit und Persephones Mutter, war außer sich gewesen. Erfolglos hatte sie die ganze Welt abgesucht, bis sie für eine Weile hier in Eleusis den Mut verlor. Doch dann hatte sie einen Fluch ausgesprochen, um auf der ganzen Welt die Saat zu vernichten, was eine so schlimme Hungersnot auslöste, dass die anderen Götter Hades dazu bewogen, Persephone freizulassen. Kurz bevor sie ging, hatte Hades ihr mehrere Granatapfelsamen zu essen gegeben, wodurch sie gezwungen war, jedes Jahr für mehrere Monate in die Unterwelt zurückzukehren. Während dieser Monate wurde die Erde wieder unfruchtbar. Natürlich war es eine Metapher für die Jahreszeiten, obwohl der Mythos wesentlich komplexer und subtiler war.
Langsam bewegte sich der Verkehr wieder. Aus drei Spuren wurden zwei, dann war nur noch eine befahrbar. Geradeaus flackerten die Blaulichter der Polizei, die defekte Alarmanlage eines Wagens heulte auf, und schließlich konnte er die Ursache für den Stau sehen. Ein Auffahrunfall mit vier Fahrzeugen, ein Haufen verbeulter Motorhauben und zerfetzter Airbags, daneben ein Mann, der wütend herumschrie, und eine Frau, die bei der Polizei ihre Aussage machte. Nach einer Weile war Knox endlich daran vorbei, die Straße war wieder frei, und er konnte Gas geben, um etwas von der verlorenen Zeit wettzumachen.
Zu seiner Linken kam allmählich das Meer in Sicht, dann ein Schleppnetzfischer und schließlich der Hafen, an dessen langen, nabelschnurgleichen Landungsbrücken Tanker und Containerschiffe be- und entladen wurden. Eine Industrielandschaft, die durch den blauen Himmel und den Sonnenschein, der auf
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