Wächter des Mahlstroms

sich vor, daß jede Zelle meines Gehirns ... nein, wir sollten das auf immaterieller Ebene sehen – daß jedes einzelne kleinste Element meines Geistes ein Schloß ist – daß Sie aber nicht genau zu erkennen vermögen, wie der Schlüssel dazu aussehen müßte. Sie müssen nun jede entsprechende Einheit Ihres Geistes zu einem passenden Schlüssel gestalten ... nein? Wir versuchen es noch einmal. Stellen Sie sich vor, jedes Element meines Geistes sei die Hälfte eines Puzzlespiels – Ihr Geist muß nun jedes Bild ergänzen ...«
    »Das kann ich nicht. Wissen Sie denn nicht, Joan, wie viele Milliarden von ...«
    »Na und?« fragte sie heftig. »Bei jedem Anflug auf einen Wirbel stellen Sie Berechnungen an, die viel komplizierter sind ... Ach, das wäre eine Möglichkeit! Gehen Sie die Sache an, als handelte es sich um ein Problem n-dimensionaler Differentialgleichungen, doch überlassen Sie das Ganze nicht nur Ihrem Unterbewußtsein: steigen Sie mit hinab und übernehmen Sie einen Teil der Arbeit. Wenn Ihnen das gelingt, sind Sie am Ziel!« Sie ergriff seine Hände, drückte sie zusammen und begann laut zu sprechen, um ihn zu überzeugen. »Konzentrieren Sie sich darauf, Sturm, gehen Sie in die Tiefe ... Sie schaffen es, ich weiß, daß Sie es schaffen, ich
weiß
es ... Graben Sie in die Tiefe, mein Freund ... Um Einzelheiten brauchen Sie sich gar nicht so sehr zu kümmern; bringen Sie die Kettenreaktion in Gang wie einen Reißverschluß, dann geht die Sache von allein weiter. Sturm,
graben
Sie!«
    Und Sturm tauchte hinab. Seine Wangenmuskeln verkrampften sich. Schweiß strömte über sein Gesicht und tropfte ihm von den Wangenknochen. Und plötzlich geschah tatsächlich etwas. Nicht besonders viel, aber immerhin etwas. Hier war plötzlich mehr als ein bloßer Kontakt, sondern eine Durchdringung, eine Verschmelzung, die sich allerdings nicht rasch der Vollendung näherte, wie Joan angekündigt hatte, sondern die nur für eine kaum wahrnehmbare Zeit auf einem kaum wahrnehmbaren Raum existierte und dann so schnell wieder verschwand, wie sie entstanden war. Aber der Vorgang war klar; einen Sekundenbruchteil lang hatte er einen winzigen Teil von Joans Gedanken lesen können; ausgeschlossen, daß sie ihm diesen Gedanken gezielt entgegengeschickt hatte – in Wirklichkeit war der Gedanke an die eigene Adresse gerichtet gewesen, nicht an ihn. Und als er den Tenor dieses Gedankens erfaßte, ließ er seine geistigen Sperren fahren und versuchte verzweifelt den gestohlenen Gedanken ganz unten zu begraben, damit Joan niemals herausfand, was er erfaßt hatte ...
    Nein, vergraben konnte er ihn nicht. Fleisch, Gestein, Metall – keine denkbare Materie setzte Gedanken Widerstand entgegen. Was hielt Gedanken auf? Ein Gedankenschirm! So etwas besaß er natürlich nicht, doch er kannte die Formel, und wenn er energisch genug an diese Formel dachte, mochte das ausreichen, um eine Störung zu schaffen. Die Frage war nur, ob er gleichzeitig sprechen konnte ... denkbar war es, wenn er sich nicht besonders auf das Thema konzentrieren mußte.
    Joan merkte es natürlich sofort, als Cloud seinen Geist von dem ihren abwandte, und da sie nicht in Worten nach dem Grund fragen wollte, schickte sie einen Suchgedanken los. Zu ihrer Überraschung wurde der Gedankenimpuls jedoch abgeblockt; sie kam überhaupt nicht mehr an Clouds Gedanken heran!
    »Ein Block!« rief sie ungläubig. »Ein wirklicher Block – hart und fest wie ein D7M29Z-Schirm! Was haben Sie da eben gemacht, Sturm, und wie? Ich habe Sie gar nicht gespürt!«
    Er antwortete nicht sofort; dazu war er viel zu beschäftigt. Er hielt nicht nur den Gedankenschirm aufrecht, sondern analysierte zugleich den Gedanken, den er Joan abgelauscht hatte; er sonderte ihn ab und arrangierte ihn in englischer Sprache vor seinem inneren Auge. Erstaunlich, wie viele Worte in einen winzigen Gedankenimpuls gepreßt werden konnten!
    »Joanie, du alter Dummkopf«, hatte sie gedacht, »du mußt mit dieser Torheit Schluß machen und dich benehmen, wie es deinem Alter entspricht. Du darfst dich nicht in ihn verlieben; das bringt für uns beide nichts. Du bist vierunddreißig Jahre alt, und er hat seine Jo gehabt.«
    »Sturm!« rief sie. »Antworten Sie doch! Oder haben Sie ...« Ihr Tonfall veränderte sich: »Oder ist ... etwas ... mit Ihnen passiert?«
    »Nein, Joanie.« Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich mühsam wieder auf die Wirklichkeit. »Aber zuvor eine Frage: Was ich da jetzt mache, ist