Waffenschwestern
spürte kaum, dass sich die Gefühlsatmosphäre verändert hatte, dass die alte Frau jetzt weniger feindselig war.
»Wenn Sie mir sagen, Brun Meager hätte keinerlei Moral, dann ertappe ich mich dabei, wie ich sie verteidige. Aber wenn Sie mir sagen, sie hätte einen begehrlichen Blick auf Ihren jungen Mann geworfen, dann bin ich nicht nur bereit, es zu glauben, sondern auch keinesfalls erstaunt. So ist sie schon, seit sie zum ersten Mal die Jungen entdeckte.«
Sollte das eine Entschuldigung sein? Esmay empfand den so vertrauten dickköpfigen Groll. Die alte Frau legte eine Pause ein; Esmay sagte nichts.
»Sie haben Recht, falls Sie denken – und Ihr Gesicht macht ganz den Eindruck –, dass es noch schlimmer ist,
gewohnheitsmäßig anderen Frauen die Männer auszuspannen, als sich zufällig in einen davon zu verlieben. Brun sammelt Männer wie Perlen an einer Schnur und zeigt dabei einen verwerflichen Mangel an Rücksicht auf anderer Menschen
Gefühle. Oder tat es früher. Raffa sagte, sie wäre in den zurückliegenden Jahren … äh … diskreter geworden.
Anscheinend hat jemand, auf den sie ein Auge geworfen hatte, es abgelehnt, mal so eben mit ihr Spaß zu haben.«
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»Barin … auch«, sagte Esmay. Als ihr dann klar wurde, wie vieldeutig das war, versuchte sie es zu erklären. »Ich meine, er war das nicht, aber er hat es auch abgelehnt. Er sagte…« Ihr versagte die Stimme. Nach einer grässlichen Pause, in der Esmay am liebsten verdampft wäre, griff die alte Frau den Faden auf.
»Sie sollten jedoch wissen, dass Brun, obwohl moralisch unreif, doch in vielen Dingen die richtigen Instinkte hatte. Sie war wild, leichtsinnig, rebellisch – aber nicht absichtlich grausam.«
»Sie hat auch mir schlimme Dinge an den Kopf geworfen.«
Das klang fast kindisch, und erneut wünschte sich Esmay, sie hätte einfach woanders sein können.
»In der Hitze eines Streits, ja. Das tat sie. Sie beide klingen auf dieser Aufnahme wie Marktweiber.« Die alte Frau nahm einen Datenstab und einen Memoblock zur Hand und legte
beides wieder hin. »Ob Sie mir wohl erzählen, wie Sie ihr begegnet sind und was danach geschehen ist?«
Esmay sah keinen Grund, warum sie das tun sollte, fühlte sich aber zu erschöpft, um zu protestieren. Matt erzählte sie die Geschichte, wie sie Brun zum ersten Mal im Streit mit ihrem Vater erblickt hatte und was darauf gefolgt war, bis zum Eintreffen Barins.
»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Brun hat Sie bewundert und wollte Ihre Freundin sein, aber Sie fanden sie aufdringlich und lästig.«
»Irgendwie schon. Ich hatte sie dabei gesehen, wie sie
gegenüber ihrem Vater ausgerastet war…«
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»Das klingt ganz nach ihr – und nebenbei auch nach ihrem Vater. Stur wie Granit, die ganze Familie. Als Junge hatte ihr Vater die gleiche Auseinandersetzung mit seinem Vater. Aber als er zehn wurde, war er bereits umgänglicher geworden. Brun fiel Ihnen also von vornherein als verdorben und schwierig auf, und Sie wollten nichts mit ihr zu tun haben.«
»Nicht ganz«, entgegnete Esmay. »Wäre ich weniger
beschäftigt gewesen und hätte nicht das doppelte
Unterrichtsprogramm belegt, hätte ich vielleicht Zeit gehabt, um mit ihr zu reden. Sie wollte immer wieder irgendwohin gehen und eine Party feiern, während ich gerade lernen musste.
Deswegen wollte ich aber noch lange nicht, dass ihr jemand wehtut!«
»Und wenn man Brun kennt, hat sie sich bestimmt auf ihren Charme verlassen; wahrscheinlich hat sie gar nicht kapiert, warum Sie nicht freundlicher zu ihr waren. Bestimmt hatte sie Sie als natürliche Bundesgenossin eingestuft – geflüchtet aus einem repressiven Zuhause, um eigenständig Karriere zu
machen, ohne dass die Familie sich einmischte.«
»Ich schätze schon«, sagte Esmay. Hatte Brun so gedacht? Ihr war selbst gar nicht eingefallen, dass Brun möglicherweise von vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen ausgegangen war.
»Und dann hat sie zu allem Überfluss auch noch Ihren Mann aufs Korn genommen. Ich frage mich, ob sie ernsthafte
Absichten verfolgte oder einfach dachte, er könnte ihr helfen, zu Ihnen durchzudringen, hm?«
»Sie hat ihn gebeten, mit ihr zu schlafen!«, sagte Esmay verärgert.
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»Ah. Bestenfalls unklug von ihr. Und Sie hielten sie plötzlich für eine heimtückische Rivalin und eine Schlampe, nicht wahr?«
»Hmmm …ja.« Wenn man es so ausdrückte, stand Esmay
noch naiver da, als sie tatsächlich war. Falls das überhaupt ging.
»Und
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