Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
hier jeden albernen Backfisch befiel, konnte doch nicht sie ereilt haben, die kühle, zurückhaltende Annabella Milbanke! Aber ihr mathematisch trainierter Geist zwang sie diesmal, die Tatsachen anzuerkennen. Sie hatte sich verliebt, zum erstenmal in ihrem Leben, obwohl es ihr an Bewerbern nicht wirklich gemangelt hatte.
Annabella fühlte sich rat- und hilflos, ein für sie ungewohnter Zustand. Ein Mann, den man einmal abgewiesen und dem man mitgeteilt hatte, man liebe einen anderen, war nicht gerade ein wahrscheinlicher Freier.
Als ihr schließlich außer einer unverschleierten Erklärung, zu der sie bei aller Verzweiflung doch nicht imstande war, nichts mehr einfiel, kam eine Botschaft aus Newstead Abbey, mit der sie am allerwenigsten gerechnet hatte. Annabella schickte noch am selben Tag postwendend ihre Zusage. Da er ihr mitgeteilt hatte, sie solle ihre Briefe an seine Londoner Wohnung adressieren, denn er wisse nicht, wie lange er in Newstead bleiben würden, entschloß sie sich, ihr Schreiben nach London und eine kurze Notiz über seinen Inhalt direkt nach Newstead zu senden, ahnte aber nicht, daß dieser Beweis ihrer Eifrigkeit infolge eines Fehlers der Post erst nach ihrem Brief ankommen würde.
Doch Byron hatte um ihre Hand angehalten. Da sie nie irgendwelche Selbstzweifel hegte, kam sie nicht auf den Gedanken, er könne in den letzten zwei Jahren nicht in sie verliebt gewesen sein. Und weil sie auch nie wirkliche Liebesbriefe bekommen hatte, fand sie seinen Ton nicht unterkühlt. Eines allerdings ließ sie stutzen: er schien es nicht sehr eilig zu haben, an ihrer Seite zu weilen und schob Schwierigkeiten mit seinem Anwalt vor.
So wurde es Mitte Oktober, ohne daß er sie zumindest besucht hatte. Dann kam ein sehr freundlicher Brief von Mrs. Leigh, Byrons Schwester. Sie schrieb, wie glücklich sie ihren Bruder schätze (»genau wie er sich selbst«), drückte die Hoffnung aus, ihre zukünftige Schwester bald kennenzulernen und deutete taktvoll ihr Bedauern darüber an, daß das Brautpaar sich bis jetzt noch nicht hatte begegnen können. Für Annabella stellte dieser Brief eine Art inzwischen notwendiges Trostpflaster dar, und sie schrieb Byron, nachdem sie ihre Enttäuschung darüber ausgedrückt hatte, daß die letzte Post keinen Brief von ihm brachte:
»Ich habe eine Art Ausgleich durch einen Brief Ihrer Schwester - meiner - erhalten - auf so herzliche Weise freundlich, daß ich nicht sagen kann, wie dankbar ich ihr bin.«
Annabella hatte die zwanglose Zuneigung nicht vergessen, die sie an jenem Abend bei den Glenverbies zwischen Byron und Mrs. Leigh beobachtet hatte, und sie beschloß, eine Korrespondenz mit der ihr unbekannten Augusta anzufangen, um ihrem Verlobten auf diese Weise näherzukommen. Mrs. Leighs nächster Brief erweckte in ihr den Wunsch, sie kennenzulernen, und sie lud ihre zukünftige Schwägerin ein, sie doch gemeinsam mit Byron in Seaham zu besuchen. Augusta erwiderte:
»… Ich bin Ihnen nicht nur für Ihre freundliche & sofortige Antwort auf meinen Brief, sondern auch für Ihren Wunsch und Ihre Absicht zu schreiben, selbst bevor Sie ihn erhielten, wirklich dankbar. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich über Ihren & Sir Ralphs & Lady Milbankes freundlichen Wunsch, mich in Seaham zu sehen, freue, oder wie sehr - wie wirklich sehr- ich dort hingehen möchte. Ich fürchte aber fast, daß es mehr als schwierig für mich ist, mein Zuhause im Augenblick zu verlassen. Ich bin eine Amme für mein Baby, Gouvernante für mein ältestes Mädchen & irgend etwas dazwischen für meine zwei mittleren Kleinen…«
Sie entschuldigte Byron sehr viel glaubhafter und mit mehr Gefühl, als er es selbst tat:
»Ich hoffe, Sie werden ihn bald sehen, meine liebe Miss Milbanke. Es scheint, als wäre ich so ungeduldig, wie er es ist, zu Ihnen zu kommen, aber ich möchte so gern, daß Sie ihn näher kennenlernen, da ich überzeugt bin, daß er dadurch in Ihrer Wertschätzung steigen wird - und ich wünschte auch seinetwegen & wegen der Familienschüchternheit, daß seine Ankunft in Seaham schon vorbei wäre. Ich bin sicher, Sie werden amüsiert darüber sein, daß er mir gegenüber den Wunsch äußerte, daß ich Ihnen seinen Anteil an dieser verhängnisvollen Schüchternheit beschreibe…«
Als Byron Ende Oktober immer noch nicht erschienen war, halfen auch alle Erklärungen und Entschuldigungen seiner Schwester nichts mehr. Annabella schrieb:
»Ich denke, das wird der
Weitere Kostenlose Bücher