WAKE - Ich weiß, was du letzte Nacht geträumt hast (German Edition)
schlimmer der Albtraum ist, desto mehr werde ich gelähmt.«
Er sieht sie an und sagt leise: »Janie.«
»Ja?«
Er streicht ihr übers Haar. »Ich habe gedacht, du stirbst. Du zitterst, du krampfst, du verdrehst die Augen. Ich war drauf und dran, das nächste Handy zu klauen, dir die Brieftasche zwischen die Zähne zu klemmen und den Notruf zu wählen.«
Janie schweigt eine ganze Weile und meint schließlich: »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.«
»Du lügst.«
Sie sieht ihn an. »Ja, wahrscheinlich.«
»Wer weiß es sonst noch? Deine Mutter?«
Sie betrachtet ihre unangetastete Pizza. Schüttelt den Kopf. »Niemand. Nicht einmal sie.«
»Du warst nicht beim Arzt deswegen, oder?«
»Nein, eigentlich nicht. Nicht, um mir helfen zu lassen.«
Er reißt die Hände hoch. »Warum denn nicht?« Ungläubig. Doch dann versteht er. »Tut mir leid«, sagt er.
Sie antwortet nicht. Denkt nach. Angestrengt.
»Weißt du, es ist noch nie jemand mit mir zusammen da gewesen, so wie du.« Ihre Stimme ist leise und nachdenklich. Sie sieht ihn von der Seite an. »Das verstehe ich nicht. Wie bist du dorthingekommen?«
»Keine Ahnung. Es war auf einmal, als hätte ich zwei verschiedene Blickwinkel: einen als Beobachter, den anderen als Protagonist. Wie virtuelle Realität, Bild im Bild, oder so.«
»Und jetzt sag mir nicht, du hättest mir ein Wort geglaubt, wenn du es nicht selbst mit mir zusammen erlebt hättest.«
Er nickt ernst. »Da hast du recht, Hannagan.«
Als Carl sich an der Tür verabschiedet, ist es 22:21 Uhr. Er lehnt sich an den Türrahmen und Janie küsstihn leicht auf die Lippen. Als er die Treppen hinunterspringt und nach Hause läuft, dreht er sich in der Auffahrt noch einmal um. »Hey, können wir uns morgen Abend sehen? So gegen neun oder zehn?«
Lächelnd nickt sie: »Ich bin da. Komm einfach herein – das macht Carrie auch immer so. Cool.«
Wahrheit oder Pflicht
16. Oktober 2005, 21:30 Uhr
Sonntag. Das Haus ist aufgeräumt. Janie hatte frei. Morgens war sie einkaufen, hat Staub gesaugt, gewischt, gewaschen, poliert, gewienert und dampfgereinigt.
Jetzt liegt sie schlafend auf der Couch.
Carl kommt nicht.
Ruft nicht einmal an.
23:47 Uhr
Janie seufzt, löscht das Licht, geht niedergeschlagen ins Bett.
17. Oktober 2005, 07:35 Uhr
Janie nimmt ihren Rucksack und geht. Sie ist stinksauer. Verletzt. Glaubt zu wissen, warum er nicht gekommen ist.
An Ethels Windschutzscheibe steckt ein Zettel unter dem Scheibenwischer. Er ist feucht vom Tau.
Es tut mir leid , steht da.
Carl .
Ja, gut. Aber nicht so sehr wie mir , denkt sie.
Auf dem Weg zur Schule überholt sie ihn. Er sieht auf.
Und frisst ihren Staub. Kommt zu spät zur Schule.
Sie spricht nicht mit ihm.
23:19 Uhr
Er sitzt auf der Treppe, als sie von der Arbeit nach Hause kommt.
Sie steigt aus, geht über den knirschenden Kies und baut sich vor ihm auf.
»Ja?«
»Es tut mir leid«, sagt er.
Sie klopft mit dem Fuß. Sucht nach Worten. Sprudelt sie hervor, wie sie ihr einfallen: »Du hast also Schiss gekriegt, ja? Ich bin eine Irre. Wie aus Akte X. War mir ja klar, dass es so kommt.«
»Nein …« Er steht auf.
»Schon gut. Nein, wirklich.« Sie läuft die Treppe hinauf an ihm vorbei, tastet im Dunkeln nach ihrem Schlüssel. »Jetzt weißt du, warum ich es niemandem erzählen wollte.« Der Schlüsselbund klimpert in ihren Fingern und sie flucht leise. »Vor allem dir nicht.«
Sie lässt die Schlüssel fallen. »Verdammt!«, schnieft sie, hebt sie auf und sucht nach dem richtigen.
»Und wenn du es einer Menschenseele erzählst …«, während sie die Tür öffnet, wird ihre Stimme immer schriller, »… dann lernst du eine völlig neue Bedeutung des Wortes ›gemeines Foul‹ kennen! Du riesiges … verdammtes … Arschloch!«
Sie knallt die Türe zu.
23:22 Uhr
Das Telefon klingelt.
»Arschloch«, murmelt sie und hebt ab.
»Darf ich es dir erklären?«
»Nein.« Sie legt auf.
Wartet.
Gießt sich ein Glas Milch ein.
Trinkt es.
Flucht.
Löscht das Licht in der Küche.
Geht ins Bett.
Ihr ganzes Leben ist verflucht. Sie wird nie einen Freund haben. Ganz zu schweigen vom Heiraten. Zum Teufel, wahrscheinlich wird sie nie mit jemandem schlafen können.
Sie ist ein Freak.
Es ist nicht fair.
Schluchzen lässt das Bett erzittern.
18. Oktober 2005, 07:39 Uhr
Janie ruft die Schule an und gibt sich als ihre Mutter aus. »Sie kann heute nicht in die Schule gehen, sie hat die
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