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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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Entscheidung getroffen, und der Vater machte lediglich die Mitteilung.
    »Aufwachen, Lilith ... Wir sind da.«
    Lilith schlug die Augen auf und blinzelte auf eine schlechtbeleuchtete Straße hinaus. Ihr war schwindelig und übel, alles an ihr klebte. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers schmerzte, manch einen spürte sie überhaupt zum ersten Mal. José hatte die Strapazen der langen Fahrt dank seiner soldatischen Verfassung besser verkraftet. Doch auch ihm brannten die Augen, und hinter der Stirn saß ein stechender Schmerz. Die Wüste hatten sie hinter sich gelassen, als es dämmerte; nach einer Kurve waren die ersten Bäume und immer breiter werdende Bachläufe aufgetaucht, die Erde war mit jedem Meter fruchtbarer geworden, hatte sich schließlich in die verhießene Oase verwandelt. Als die Dunkelheit die Landschaft ganz verschlang, hatte José den Blick fest auf den Wagen vor sich geheftet und an nichts anderes mehr gedacht als daran, dass er wach bleiben musste.
    Halb versteckt zwischen den Bäumen, ganz am Fuß der Andenkordillere, war ein im Alpenstil gebautes Haus zu erkennen. Patagoniens größter See, der Nahuel Huapi, lag keine hundert Meter vor ihnen. Auch wenn José keine Ahnung hatte, wie seine nächsten Schritte aussehen würden – der Koffer voller Geld, den er bei sich hatte, schenkte ihm Gelassenheit. Jetzt kam Enzo langsam auf seinen Wagen zugehumpelt. Zehn Stunden mit dem Fuß auf dem Gaspedal hatten ihre Spuren hinterlassen.
    José stieg aus.
    Der eisige Wind, der sich vom Nahuel Huapi erhob, blies ihm ins Gesicht, gleich war er wieder munter und beobachtete interessiert, wie Tomás das Schloss an einem Eisengatter aufschloss und das Gatter mit Liliths Hilfe aufstieß. Die Fenster des Hauses waren hell erleuchtet, in ihrem Licht war die Pracht vergangener Tage zu erahnen.
    »Wir sind da, José. Bis nach Bariloche sind es noch zwanzig Kilometer, immer geradeaus, bleiben Sie einfach auf dieser Straße. Wo genau wollen Sie hin?«
    José zog ein zusammengefaltetes Papier aus der Innentasche seines Jacketts. Enzo warf einen Blick auf die Adresse und nickte.
    »Freunde von Ihnen?«
    »Bekannte.«
    »Das ist im Dorf drüben. Immer geradeaus. Und dann fragen Sie am besten im Ort noch mal nach. Jeder wird ihnen den Weg weisen können.«
    José nickte stumm. In Enzos Rücken sah er Eva und die drei Kinder den Tannenweg entlanglaufen, der zum Haus führte. Die Lustlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die nun schon seit Beginn seines Exils andauerte, dieses Gefühl der Sinnlosigkeit ... Alles war hier wie weggeblasen: Auf keinen Fall würde er sich die Gelegenheit entgehen lassen, ein Weilchen in diesem fröhlichen Zoo zu verbringen. »Ihre Tochter hat mir erzählt, Sie wollen die Pension Ihrer Schwiegereltern neu eröffnen.«
    Enzo, der sich schon hatte verabschieden wollen, sah den Fremden misstrauisch an. Es war ihm ein Rätsel, wann seine Tochter das alles ausgeplaudert haben konnte.
    »So ist es. In ein paar Wochen.«
    »Ich könnte Ihr erster Gast sein.«
    Enzo schwieg.
    »Mit meiner Frau zusammen«, schob José nach.
    Einen alleinstehenden Mann aufzunehmen war schließlich etwas anderes, als ein Paar unterzubringen, das den heiligen Bund der Ehe geschlossen hatte.
    »Sie will nachkommen, sobald ich eine Unterkunft gefunden habe.«
    »Sie sind verheiratet?«
    »Gewiss.«
    »Ich muss das mit meiner Frau besprechen. Wenn sie einverstanden ist, könnten wir Ihnen vielleicht eins der Zimmer im Erdgeschoss anbieten. Wenn es Ihnen zusagt, versteht sich …«
    »Das wird es bestimmt.«
    Mit einem Handschlag erklärte Enzo das Gespräch für beendet. José musste sich in Geduld üben, sie waren alle von der Fahrt gerädert. Nur Lilith winkte ihm zum Abschied, die im rosa Wolldeckchen verborgene Mapuche-Puppe fest an sich gedrückt. Der Rest der Familie schien ihn vergessen zu haben.
    »Kommen Sie uns doch morgen besuchen«, sagte Enzo schließlich etwas zögernd.
    »Um die Mittagszeit herum?«
    »Besser am Nachmittag. So gegen fünf.«
    Lilith lauschte auf den sich entfernenden Chevrolet, am liebsten wäre sie hinterhergelaufen. Aber Luned, die sommersprossige Waliserin, die der Großmutter als Haushaltsgehilfin gedient hatte, seit Lilith denken konnte, hielt sie fest im Arm. Luned wirkte angeschlagen, wie das Haus. Vor Aufregung über die bevorstehende Ankunft der Familie hatte sie zwei Nächte kein Auge zugetan. Auf einem der zwei steinernen Löwen, die den Hauseingang zierten, saß ihre Tochter Tegai und

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