Waldstadt
Heidekraut hinein in die dichte Wildnis, die Schlinge immer straff gespannt. Zwischen zwei kleinen Fichten, Weihnachtsbäumchen wie gemalt, ließ er ihn fallen.
Die weit hervorgetretenen Augen gaben ihm Gewissheit.
Er ging in die Hocke, bewegte sich kaum, sah starr an seinem Opfer vorbei, tastete an der Seite des Kehlkopfes nach dem Puls, fühlte nichts, wickelte den Draht vom Hals und ging vorsichtig wieder zurück.
Seinen Rucksack hatte er hinter dem großen Sandsteinblock fallen gelassen. Niemand hätte ihn vom Pfad aus sehen können. Er trug die genarbten Handschuhe noch und zog den Draht langsam zwischen Daumen und Zeigefinger durch, um ihn zu säubern. Ein wenig von rötlich schmieriger Masse hing jetzt auf dem Leder. Er bückte sich und wischte über einen Heidekrautstrauch.
Komisch, bisher hatte er so schnell als möglich das Weite gesucht, aber jetzt drängte es ihn gar nicht so sehr. Er hing sich den Rucksack lässig über die linke Schulter und schlenderte los.
Perfekt, wirklich! Seine Hochstimmung steigerte sich immer mehr. Glänzend blau schimmerten wieder die Heidelbeeren am Wegrand. Er konnte nicht widerstehen und pflückte nochmals eine Handvoll. Dabei fiel ihm das prachtvolle Radnetz einer dicken Kreuzspinne auf. Sie war gerade dabei, eine grün-glänzende Schmeißfliege zu bearbeiten, die sich verfangen hatte.
Natur, dachte er, das ist der ganz normale simple Lauf der Natur. Werden und vergehen.
Er fand nichts Anstößiges daran.
Gut, die Spinne lebte davon, ihre Beute auszusaugen, er beschränkte sich auf das Töten an sich, doch das war nur ein marginaler Unterschied. Der Tod – nichts Besonderes, eher alltäglich.
Er bummelte gemächlich weiter, fühlte sich ganz leicht, seine Schritte schienen Federkraft zu besitzen.
Erst das laute Toben von Kindern an der Darmstädter Hütte weckte ihn aus dem Höhenflug. Ein magnetischer Anziehungspunkt für Familienwanderungen. Väter schleppten Tabletts mit Kaffee und Kuchen ins Freie. Natürlich Orangenlimo für die Kleinen, Weizenbier für Papa.
Das Waldgasthaus lockte ihn nicht, er blieb jetzt lieber in Bewegung. Fast tänzelnd erreichte er wieder den Ruhestein, wo er sein Mountainbike angekettet hatte.
Kraftvoll trat er in die Pedale und nahm den Rückweg über die Schwarzwaldhochstraße. Eine gute Stunde für knapp 30 Kilometer war kein Problem.
Die Mutter schaute fern wie immer. Sie bemerkte das Glänzen in seinen Augen nicht.
Er ging nach oben in sein enges Zimmer mit den schrägen Wänden und öffnete eine kleine Farbdose. Rot! Er malte zwei rote Ringe, die dritten jetzt.
Die Hitze lähmte. Kommissar Oskar Lindt fühlte sich von Tag zu Tag unbehaglicher. »Mein Gehirn löst sich langsam auf«, klagte er am Nachmittag gegen halb fünf. »Paul, ich bekomme keinen klaren Gedanken mehr zusammen.«
Wellmann sah besorgt zur schweißperlenbesetzten Stirn seines langjährigen Kollegen. Die beiden hatten sich schon mit zwei großen Standventilatoren ausgerüstet. Lindt nahm die dritte Flasche Wasser dieses Tages aus dem Kühlschrank. »Manchmal glaube ich, je mehr ich trinke, desto mehr muss ich schwitzen. Jeder Schluck Sprudel drückt sich sofort wieder aus der Haut.«
Stöhnend ließ er sich zurück in seinen Schreibtischsessel fallen und griff wieder nach den Akten. Enorme Stapel waren schon durchgearbeitet. »Mord durch Strangulation«, hatte er im Archiv angefragt. »Wir brauchen alles, was ihr habt.«
Auch von LKA und BKA bekam die SoKo Unterstützung. Täglich trafen neue Berichte ein, seitenlange Faxe, umfangreiche Mails, sogar von Interpol.
Kälberstrick, Krawatte, Schal waren gängig; auch Stromkabel kamen vor. Am Bodensee hatte es ein betrunkener Ehemann mit einem Gartenschlauch versucht. Es misslang und seine Frau überlebte, allerdings war sie zu lange ohne Sauerstoff gewesen und jetzt ein Schwerstpflegefall.
»Klaviersaiten, hier Oskar, lies doch mal.«
Wellmann hielt seinem Kollegen einen Bericht unter die Nase.
»Die Nazis?«
»Ja, aber woher weißt du …?«
»Aufhängen an Fleischerhaken mit Schlingen aus Klaviersaiten – die Hitler-Attentäter sollen auf diese Art hingerichtet worden sein.«
»Meinst du, dass es Glatzen waren, Neonazis, Rechtsradikale?«
»Quatsch, die suchen sich ihre Opfer genau aus. Entweder Abtrünnige aus den eigenen Reihen oder die politischen Gegner. Die nehmen nicht grad jeden, der durch den Hardtwald radelt.«
Die zwei Kommissare vertieften sich wieder in ihre Arbeit.
»Vielleicht
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